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Die menschliche Seite der deutsch-amerikanischen Beziehungen

Rede des US-Botschafters Arthur F. Burns in Hamburg am 14. März 1983

 

Als Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland habe ich oft über die politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern gesprochen. Heute abend möchte ich mich einem noch grundsätzlicheren Thema zuwenden - den menschlichen Beziehungen zwischen Ihrem Lande und dem meinigen.

Wir begehen in diesem Jahr den 300. Jahrestag der Ankunft der ersten Siedler aus Deutschland in Nordamerika. Die 13 Mennoniten- und Quäkerfamilien, die sich im Jahr 1683 in Germantown niederließen, das heute ein Teil von Philadelphia ist, kamen auf der Suche nach Freiheit - der Freiheit, nach ihrem religiösen Glauben zu leben, und der Freiheit, ein wirtschaftlich besseres Los für sich und ihre Kinder zu finden. Beides haben sie gefunden. Ich darf sagen, daß eine große Mehrheit der Vorfahren der schätzungsweise 60 Millionen Amerikaner, die sich heute auf eine deutsche Herkunft berufen, auf der Suche nach den gleichen Zielen kam-persönliche Freiheit und wirtschaftliche Chancen.

Amerika ist im Laufe der Jahrhunderte mit diesen grundlegenden menschlichen Bestrebungen identifiziert worden. Unsere Unabhängigkeitserklärung und unsere Verfassung bringen diese Ideale beredt zum Ausdruck und haben in allen Teilen der Welt als eine Richtschnur für Menschen gedient, die für sich selbst ein neues Leben erstreben - ein Leben, das ihnen ermöglicht, frei zu reden oder zu schreiben, Gott auf ihre Weise zu dienen und wirtschaftliche Chancen zu nutzen, ohne durch starre Gepflogenheiten oder autoritäre Herrschaft eingeschränkt zu werden.

Die menschliche Bedeutung dieses jahrhundertealten Stromes von Einwanderern nach Amerika - zuerst aus Westeuropa, später aus Ost- und Südeuropa und noch später aus Lateinamerika, Asien und anderen Teilen der Welt - kann kaum überschäzt werden. Amerikaner können zu Recht mit Stolz feststellen, daß ihr Land ein Land der Hoffnung und des Willkommens für entwurzelte Menschen geblieben ist- daß es selbst heute noch viel mehr Einwanderer aufnimmt als die übrige Welt. Noch immer kommen die meisten dieser Menschen auf der Suche nach persönlicher Freiheit und wirtschaftlichen Chancen für sich selbst und ihre Kinder.

Umgekehrt haben auch die Vereinigten Staaten ständig Nutzen aus dem unaufhörlichen Strom der Einwanderer gezogen. Selbst wenn sie gelegentlich soziale Probleme verursachten, so haben sie doch letztlich unser industrielles, politisches und kulturelles Leben bereichert. Mein Land hätte sich nicht in der Weise entwickeln können, wie es dies getan hat, noch hätte sich dort die Gesellschaft so entfalten können, wie sie sich heute darbietet, wenn nicht der moralische Mut und die geistigen und technischen Fähigkeiten gewesen wären, die unaufhörlich aus der Alten Welt, und vor allem aus Ihrem Lande, zu uns gebracht wurden.

Die Namen vieler deutscher Einwanderer nach Amerika sind auf beiden Seiten des Atlantik wohlbekannt, und wenn ich heute einige erwähne, dann sollen sie nur als Beispiel für all jene dienen, die das Leben und die Kultur Amerikas bereichert haben. Da ist - um ihn als ersten zu nennen - Franz Daniel Pastorius, der Gründer von Germantown, eine prophetische Gestalt, die eine klare Vision von dem aufgezeigt hat, was die Vereinigten Staaten als Land werden sollten. Durch sein Eintreten für die Trennung von Kirche und Staat, für Toleranz der religiösen und ethnischen Vielfalt und für die Abschaffung der Sklaverei war er seiner Zeit weit voraus. Ein anderer war William Rittenhouse, Geistlicher und zugleich Papierhersteller, aus Mühlheim an der Ruhr, dessen Urenkel, David Rittenhouse, der erste Direktor der amerikanischen Münze war und bleibenden Ruhm als Mathematiker, Astronom und Erfinder erwarb. Thomas Jefferson war von ihm so angetan, daß er sagte: "Er hat zwar keine Welt geschaffen, aber er ist ihrem Schöpfer sehr viel näher als irgendein Mensch, der je gelebt hat." Dann war da der Drucker, Journalist und Verleger Christopher Saur, der als erster die Bibel in einer europäischen Sprache in Amerika gedruckt hat. Ein noch berühmterer Einwanderer war John Peter Zenger, der heute noch in den Vereinigten Staaten als der "Schutzheilige" der Pressefreiheit bekannt ist. Und dann gab es Hans Nikolaus Eisenhauer, einen Einwanderer aus Eiterbach im heutigen Südhessen, der Mitte des 18. Jahrhunderts in Amerika eintraf und weder Reichtum noch Ruhm erwarb, aber der Vorfahre von Dwight David Eisenhower wurde - dem 34. Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Und es gab auch noch - wenn ich fortfahren darf - die Helden des Revolutionskrieges Johann de Kalb und Friedrich Wilhelm von Steuben; die politischen Denker und Reformer Friedrich Hecker, Carl Schurz, John Altgeld und Robert Wagner; den Brückenbauer John Augustus Roebling; den Orgelbauer Henry Steinway; die Unternehmer John Jacob Astor und Levi Strauss; die Künstler Emanuel Leutze und Albert Bierstadt; den politischen Zeichner Thomas Nast; die Musiker und Komponisten Leopold Damrosch, Arnold Schoenberg, Bruno Walter, Kurt Weill; den Sprachwissenschaftler Maximilian Berlitz; den Bankier und Philanthropen Paul Moritz Warburg; den Theologen Paul Tillich; die Architekten Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius; den Wissenschaftler Albert Einstein; die Schriftsteller Thomas Mann und Hannah Arendt; und - um diese eindrucksvolle Liste abzurunden - Ihren und meinen Freund, Henry Kissinger. Wo stünde Amerika heute, ja, man darf sicher sagen, wo stünde die Welt heute ohne die gewaltigen Beiträge dieser deutschen Einwanderer?

Diese Männer und Frauen, ihre Kinder und Kindeskinder -die 60 Millionen Amerikaner, die sich heute auf ihre deutsche Herkunft berufen - schmiedeten die Kette, die unsere beiden Gesellschaften verbindet. Diese Bande hatten nichts zu tun mit politischen Verträgen, Sicherheitsabkommen oder Handelsvereinbarungen. Sie haben sogar schwere Belastungen in den politischen Beziehungen unserer beiden Lander überlebt - ja selbst zwei schreckliche Kriege. Das vielleicht beste Beispiel der Stärke und Dauerhaftigkeit dieser menschlichen Bindungen zeigte sich darin, wie rasch und engagiert die Bevölkerung meines Landes nach dem Zweiten Weltkrieg das deutsche Volk unterstützte.

Es war in erster Linie die Wechselwirkung zwischen unseren beiden Völkern, die der Bundesrepublik Demokratie und physischen Wiederaufbau gebracht und die Partnerschaft zwischen unseren beiden Gesellschaften geschaffen hat, die heute besteht. Der Marshall Plan war ohne Frage ein entscheidend wichtiges Instrument für den Wiederaufbau der zerrütteten Wirtschaft Westdeutschlands. Der Nordatlantik Vertrag bot die entscheidende Sicherheitsgarantie vor einer Aggression. Andere Maßnahmen - wie etwa die Berliner Luftbrücke - waren weitere Zeichen der Entschlossenheit der Vereinigten Staaten, sich am Schutz der jungen Demokratie zu beteiligen, die aus der Asche des Zweiten Weltkrieges erstanden war. Aber die treibende Kraft hinter all diesen begrüßenswerten politischen Entwicklungen war das Netz menschlicher Beziehungen, das durch die Millionen Amerikaner deutscher Herkunft und die zahlreichen deutschen Flüchtlinge geschaffen wurde, die unsere Küsten in den dreißiger Jahren erreichten, durch die Hunderttausende von deutschen Kriegsgefangenen, die jahrelang in den Vereinigten Staaten lebten, durch die Zehntausende von Amerikanern und Deutschen, die beim Wiederaufbau der demokratischen Gesellschaft zusammengearbeitet haben, wie sie heute in der Bundesrepublik Deutschland besteht, und durch die Legion von Fulbright Stipendiaten und Austauschstudenten. Es war ihr gemeinsames Wirken, das die Grundlagen für die Partnerschaft zwischen unseren beiden Ländern schuf - eine Partnerschaft, die sich als stark genug erwies, um alle möglichen temporären wirtschaftlichen Irritationen und politischen Meinungsverschiedenheiten zu überstehen.

Diese Amerikaner und Deutschen, die zusammengelebt und -gearbeitet haben, fanden Verständnis und Wertschätzung füreinander. Sie wußten oder erkannten bald, daß sie durch gemeinsame Werte und Überzeugungen miteinander verbunden waren - durch die Achtung vor den Menschenrechten, durch den Glauben an die Demokratie, durch die Hingabe an die Herrschaft des Rechts. Und sie gaben diese Erkenntnisse an jene ihrer Landsleute weiter, die keine direkten Kontakte mit dem jeweils anderen Volk hatten. Aber Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre schied diese schöpferische Generation von Deutschen und Amerikanern mehr und mehr aus Führungspositionen und einflußreichen Stellungen aus. Das Netz menschlicher Beziehungen, das unsere Gesellschaften so eng verband, wurde damit lockerer. Die an ihre Stelle tretende Generation war nicht durch ähnliche Erfahrungen geformt worden und zeigte daher weniger persönliches Engagement für das deutsch-amerikanische Verhältnis.

In den letzten Jahren hat das dichte Netz gemeinsamer Werte zwischen unseren beiden Völkern nachgegeben - zum Teil, weil wir uns nicht mehr so nahekommen. Gleichzeitig begannen andere Entwicklungen die optimistische Stimmung in unseren Ländern zu verdüstern, vor allem bei den jungen Menschen. Dazu gehörten der verblassende Glanz des schönen Traumes von einem vereinten Europa, der anhaltende Hunger und die Verzweiflung in vielen der weniger entwickelten Teilen der Welt, der Vietnam Krieg, in den die Vereinigten Staaten unglücklicherweise verwickelt wurden, die Bürgerrechtsunruhen in meinem Lande, die gewaltige militärische Aufrüstung der Sowjets in den siebziger Jahren angesichts einer angeblichen Entspannung, die politischen Abenteuer der Sowjets in Asien und Afrika und ihre Invasion Afghanistans, die Unterdrückung der neu erworbenen Rede- und Versammlungsfreiheit in Polen, die um sich greifende Inflation und steigende Arbeitslosigkeit in der westlichen Welt, und - nicht zuletzt - die wachsende Erkenntnis in der Bundesrepublik Deutschland, daß ihr "Wirtschaftswunder" vorüber war.

All diese Faktoren, die zwar nicht direkt mit dem deutsch-amerikanischen Verhältnis zu tun haben, warfen ihre Schatten auf diese Beziehungen. Es ist eine unausweichliche Tatsache, daß das Verhältnis zwischen unseren Völkern weniger eng wurde. Das Bildungssystem, das den Verlust der direkten persönlichen Erfahrung zwischen Deutschen und Amerikanern zum Teil hätte ersetzen können, hat diese Aufgabe nicht erfüllt. Es war für die junge Generation wenig dienlich, daß unsere Schulen den Fächern Geschichte und Ethik sowie den Grundlagen unserer westlichen Kultur nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Das Verständnis zwischen den Menschen ist immer unvollkommen. Das ist das Los des Menschen auf Erden. Wir wissen das aus unserem täglichen Leben. Eltern verstehen nicht immer ihre Kinder und Kinder nicht immer ihre Eltern. So ist es auch zwischen Ehemann und Ehefrau, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Vermieter und Mieter, zwischen Bankier und Kreditnehmer, zwischen Professor und Student. Aber wenn schon Mißverständnisse in unseren Familien, Schulen und Betrieben bestehen, dann entstehen sie noch sehr viel leichter und gedeihen sogar unter Nationen, da Unterschiede in der Geschichte und Sprache zusammen mit begrenzten direkten Kontakten zwischen Menschen ein Nährboden des Mißverständnisses und leider gelegentlich sogar Mißtrauens sind. Der diplomatische Dienst ist keine ganz neue Karriere mehr für mich. Meine Tätigkeit als Botschafter in Ihrem Lande geht jetzt schon gut in das zweite Jahr. Aber ich muß gestehen, daß ich noch immer erstaunt bin über die seltsamen Meinungen, die hochgestellte Europäer gelegentlich über die Vereinigten Staaten zum Ausdruck bringen - und ich möchte hinzufügen, daß es auch umgekehrt so ist. Muß man sich also wundern, daß viele junge Menschen in Ihrem Lande und in dem meinigen so wenig Verständnis für die Gesellschaft des jeweils anderen Landes haben?

Ich habe viele Stunden mit jungen Menschen in Ihrem Lande verbracht, wie auch früher mit jungen Menschen in meinem Lande. Ich bewundere ihre Intelligenz, ihren Idealismus, ihren Horror vor der Rüstung und ihr Mitgefühl für die Erniedrigten. Aber ich bin auch erschrocken über das Unwissen, das so viele sogar bezüglich der Geschichte ihres eigenen Landes an den Tag legen, von ihrem Unwissen über die Vereinigten Staaten ganz zu schweigen. Und ich bin vor allem beunruhigt über ihren offensichtlichen Mangel an Wertschätzung dessen, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben.

Es ist ein verwirrendes und beunruhigendes Kennzeichen unserer Zeit, daß viele unserer jungen Menschen - in Ihrem Lande vielleicht noch mehr als in meinem - nicht imstande zu sein scheinen, zwischen der moralischen und politischen Ordnung des Westens und dem unterdrückerischen Totalitarismus des Sowjetblocks zu unterscheiden. Schließlich sind die Werte der westlichen Demokratien keine abstrakten oder verschwommenen Konzepte. Die Freiheit des einzelnen, zu reden, zu schreiben, zu beten und sich mit anderen zu versammeln; die Gleichheit aller vor dem Gesetz; der Schutz jeden Bürgers vor Willkürakten der Regierung; die Freiheit, zwischen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Alternativen zu wählen - diese Grundwerte der westlichen Demokratien sind eine praktische Wirklichkeit, die jeder intelligente Mensch zu erfassen in der Lage sein sollte. Sie werden ganz sicherlich zutiefst verstanden und geschätzt von jenen, die unter kommunistischer Herrschaft leben und sich dieser Werte nicht erfreuen können.

Der Grund, warum so viele junge Menschen in Europa und in Amerika die Grundwerte des Westens als selbstverständlich betrachten, muß darin liegen, daß sie niemals ohne sie gelebt haben. Sie scheinen nicht zu begreifen, daß ihr Recht, für ein Einfrieren von Kernwaffen zu demonstrieren, ihre Freiheit, öffentlich eine einseitige Abrüstung zu fordern, ihr Recht, gegen das auf die Straße zu gehen, was sie für eine falsche amerikanische Politik in Mittelamerika halten - daß all diese Privilegien ihnen in einem demokratischen System zugestanden werden, das auch sie eigentlich vor jenen schützen sollten, die ihnen diese Privilegien wegnehmen würden, so wie sie den jungen und alten Menschen in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Afghanistan und in vielen anderen Ländern weggenommen wurden. Junge Menschen mit durchschnittlicher Inteiligenz sollten in der Lage sein, zwischen den Triebkräften zu unterscheiden, die Amerika bewegen, und jenen, die die Sowjetunion beherrschen. Sie sollten in der Lage sein, zu erkennen, daß die erbetene Präsenz amerikanischer Truppen in Europa Ausdruck der Bereitschaft ist, die Werte unserer westlichen Zivilisation schützen zu helfen, während die sowjetischen Armeen, die vor 35 Jahren willkürlich Osteuropa besetzt haben, dort stehen, um die Unterdrückung jener Freiheiten sicherzustellen, nach denen sich die Bürger dort bis heute sehnen.

Die Realität und die Anziehungskraft unserer westlichen Werte sollten, so scheint es mir, jedem einleuchten, der das Leben der unglücklichen Menschen unter sowjetischer Herrschaft bedauert, die, wo immer das möglich war, mit den Füßen abgestimmt haben, weil sie nicht auf andere Weise wählen können. Es gibt Millionen Menschen, die aus Ostdeutschland, Polen, Vietnam, Kambodscha, Afghanistan, Kuba und anderen kommunistischen Ländern geflohen sind. Aber hat je irgend jemand etwas von einem Strom - ja nur von einem Rinnsal - von Flüchtlingen in auch nur eines dieser Lander gehört?

Die fehlgeleiteten Auffassungen junger Menschen - und manche sind sogar nicht einmal mehr so jung - werden oft der Beharrlichkeit und Kraft der sowjetischen Propaganda zugeschrieben. Ich höre das immer wieder von meinen Freunden. Diese Erklärung ist jedoch eine Flucht vor der Realität. Die Sowjets nutzen sicherlich jede Gelegenheit, unsere westlichen Gesellschaften zu diffamieren und die Wahrheit über ihre eigene zu verschleiern. Aber daß sie dies mit Erfolg tun können, entspringt im wesentlichen der Tatsache, daß es weder Eltern noch Lehrern in unseren Ländern gelungen ist, den Kindern eine ausreichend gesunde moralische und historische Bildung angedeihen zu lassen, damit sie die demokratischen Institutionen schätzen konnten, die zu erben sie das Glück hatten.

In den demokratischen Systemen, die in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten herrschen, gibt es sicherlich Mängel und Mißbräuche. Das Bemerkenswerte an einer Demokratie ist jedoch ihre Fähigkeit, sich zu verbessern und zu erneuern. Offene Kritik, Weiterentwicklung von Institutionen und geordneter Wandel nach den die Gesellschaft regierenden Gesetzen gehören zum Wesen des demokratischen Systems. Im Gegensatz dazu macht das sowjetische System jeden Versuch seiner Bürger, es wesentlich zu ändern, durch Terror und Unterdrückung zunichte.

Die jungen Menschen in Westeuropa müssen erkennen, daß sie sich, wenn sie ihre Freiheiten erhalten und sich der Grundrechte einer demokratischen Gesellschaft erfreuen wollen, als Teil dieses demokratischen Systems fühlen und daher bereit sein müssen - wenn es je notwendig werden sollte - es zu verteidigen. Als Eltern, Lehrer und Politiker haben wir auf beiden Seiten des Atlantik die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die demokratischen Werte, die uns im Nordatlantischen Bündnis vereinen, von jenen begriffen und geschätzt werden, die einmal nach uns kommen.

Wie können wir das tun? Ich kann auf eine lange Lehrtätigkeit zurückblicken und schätze natürlich die Vorzüge einer guten Bildung. Ich bin mir darüber im klaren, daß wir sehr viel Besseres leisten müssen, um unsere jungen Menschen Ethik, Geschichte, Sprachen und politische Wissenschaften zu lehren. Das erfordert unter anderem, daß wir uns als Eltern und Erzieher sehr viel mehr den Unzulänglichkeiten unseres formalen Bildungsapparates bewußt werden, vor allem in den Gymnasien Ihres Landes und den High Schools in dem meinigen. Die Lehrbücher, die in deutschen und amerikanischen Schulen benutzt werden, sind oft veraltet und tragen schon allein aus diesem Grunde dazu bei, ernsthaft falsche Informationen über unsere jeweiligen Länder zu vermitteln. Lehrer für Geschichte und politische Wissenschaften haben eine besondere Verpflichtung, objektiv und auf dem neuesten Stand zu sein. Man kann ihnen bei der Erfüllung dieser Aufgabe durch ein Bildungssystem helfen, das jene Lehrer ermutigt und belohnt, die fleißg an ihrer eigenen Bildung weiterarbeiten.

Ich kann auch auf eine lange Tätigkeit im internationalen Finanzwesen zurückblicken. Das ist für mich vertrauter Boden einer relativen Ordnung und Voraussagbarkeit. Internationale Politik und Diplomatie sind dagegen ein neues Fach für mich. Ich betrachte es als ein Universum, das planlos von Klatsch, Emotionen und sogar Argwohn erfüllt ist - eine Welt, in der die Vorstellung von Tatsachen oft die Tatsachen selbst verdunkelt. Dies, so gebe ich gerne zu, ist die Situation in meinem Lande wie in dem Ihrigen, und ich bin mir darüber im klaren, daß ein Botschafter alles in seinen Kräften Stehende tun muß, um dieses Gestrüpp von Emotionen und falschen Vorstellungen auszuräumen, das gelegentlich das Verhältnis zwischen seiner Regierung und der Regierung trübt, bei der er akkreditiert ist.

Wenn jedoch eine echte Verständigung zwischen zwei Regierungen zustande kommen soll, dann hängt das im Grunde von der Art des Verhältnisses ab, das zwischen ihren Völkern besteht - und nicht zwischen Außenministern oder Botschaftern. Regierungen in demokratischen Ländern sind immer in weitgehendem Maße Ausdruck des Denkens ihrer Bürger und spiegeln dieses wider. Es ist daher äußerst wichtig, daß Verbesserungen in unseren jeweiligen Bildungssystemen durch ein weitaus größeres Netz persönlicher Kontakte zwischen den Völkern unserer beiden Lander ergänzt werden. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, ein besseres gegenseitiges Verständnis für unsere jeweiligen Institutionen der Arbeit und der Freizeit, für unser Leben zu Hause und in der Gemeinde sowie für die Hoffnungen und Ängste unserer Völker zu schaffen. Ich kenne keinen anderen Weg, die Kameradschaft und das Verständnis wiederherzustellen, das nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Amerikanern und Deutschen existierte -eine Kameradschaft, aus der die Partnerschaft unserer Regierungen zur Förderung des Friedens und zum Schutze der Freiheit entstand.

Was wir jetzt brauchen, ist eine dramatische Ausweitung der Programme, in deren Rahmen Amerikaner für einige Zeit in Ihrem Lande studieren, lehren oder arbeiten können, während sich gleichzeitig Deutsche entsprechend mit meinem Lande befassen. Um dies zu erreichen, werden unsere Länder größere Mittel - sowohl was die aktive Mitarbeit als auch die privaten und öffentlichen Gelder anbelangt - für menschliche Kontakte und Austauschprogramme aufbringen müssen. Wie ich höre, gibt die amerikanische Regierung gegenwärtig etwa 115 Millionen Dollar pro Jahr für ihre Austauschprogramme mit anderen Ländern aus, und nur ein kleiner Teil dieser Summe ist für die Bundesrepublik Deutschland gedacht. Die privaten Aufwendungen für Austauschtätigkeiten sind sehr viel größer, aber ich bin überzeugt, daß weder die private noch die öffentliche Finanzierung dieser lebenswichtigen Anstrengung auch nur annähernd groß genug ist. Ich möchte hoffen, daß in fünf Jahren der amerikanische Botschafter in der Lage sein wird, Ihnen zu berichten, daß die Gelder, die sein Land für Austauschprogramme mit anderen Ländern, und vor allem mit der Bundesrepublik Deutschland, aufbringt, sich zumindest verzehnfacht haben. Damit will ich sagen, für wie wesentlich ich diese Austauschprogramme für die Freiheit, Sicherheit und Prosperität der westlichen Welt halte.

Lassen Sie mich nun speziell auf die Austauschtätigkeiten zwischen unseren beiden Ländern eingehen, an die ich denke. Gegenwärtig werden zahlreiche akademische Austauschprogramme unter privaten Auspizien durch ein gemeinsam von den Regierungen der Vereinigten Staaten und der Deutschlands durchgeführtes akademisches Austauschprogramm ergänzt. Dieses Programm entstand vor vielen Jahren, als ein weitblickender Amerikaner, Senator J. William Fulbright aus Arkansas, sich Sorgen um eine geistige Lücke machte und daran ging, sie dadurch zu schließen, daß er ein Bildungsaustauschprogramm zwischen den Vereinigten Staaten und anderen Ländern ins Leben rief. Ziel und Zweck dieses Programms wurden von dem Senator überzeugend zum Ausdruck gebracht, als er einige Jahre spater schrieb:

"Die vielleicht größte Kraft des Bildungsaustausches besteht in der Fähigkeit, aus Nationen einzelne Menschen zu machen und Ideologien in Hoffnungen und Wünsche dieser Menschen zu verwandeln. Ich glaube nicht, daß ein Bildungsaustausch notwendigerweise freundschaftliche Gefühle zwischen Völkern hervorruft, und das ist auch keine seiner wesentlichen Zielsetzungen. Es genügt vollständig, wenn er zum Gefühl einer gemeinsamen Humanität beiträgt, zu einem gefühlsmäßigen Bewußtsein, daß andere Länder nicht von Doktrinen bevölkert werden, die wir fürchten, sondern von Menschen, die wie wir Freude und Schmerz fühlen, Grausamkeit und Freundlichkeit, ebenso wie die Menschen, mit denen wir in unserem eigenen Lande aufgewachsen sind."

Das Fulbright Austauschprogramm hat seit seiner Einführung rund 130 000 Amerikaner und Bürger anderer Länder in die Lage versetzt, im Ausland zu studieren, zu lehren oder zu forschen und damit das Verständnis zwischen den Völkern zu verbessern. Das höchst erfolgreiche deutsch-amerikanische Bildungsaustauschprogramm ist ein gutes Beispiel. Zu Beginn wurde es gänzlich von den Vereinigten Staaten finanziert, aber mit der Zeit überzeugte seine Nützlichkeit die deutsche Bundesregierung so sehr, daß sie jetzt fast Dreiviertel der jährlichen Gesamtkosten trägt. Dieses so sinnvolle Programm verdient auch von meiner Regierung verstärkte Unterstützung, und ich freue mich, Ihnen berichten zu können, daß diese Auffassung heute in Washington weitgehend geteilt wird.

Auch für ein stark ausgeweitetes Jugendaustauschprogramm besteht eine vitale Notwendigkeit. Wenn man von der künftigen Führung unserer Gesellschaften Qualität erwartet, dann ist es ganz offensichtlich wichtig, in einem frühen Stadium ihrer geistigen Entwicklung einen vernünftigen Dialog zwischen jungen Menschen zu fördern. Die Einstellungen in unseren beiden Gesellschaften werden oft geformt, bevor die jungen Menschen an die Universitäten gehen oder ins Arbeitsleben eintreten. Aus diesem Grunde wäre es besonders nützlich, den Teenagern, also jungen Mensche zwischen 16 und 19 Jahren etwa, größere Möglichkeiten zu bieten, eine Zeit im Partnerland zu verbringen. Ich denke an Aufenthalte, die lang genug wären, um Jugendlichen zu ermöglichen, zur Schule zu gehen, in einer Privatfamilie zu leben und am Gemeindeleben im anderen Land teilzunehmen. Ein junger Mensch, der vielleicht ein Jahr in der Schule des Partnerlandes verbracht hat, hat eine echte Chance, die Gesellschaft dieses Landes kennenzulernen und zu verstehen. Diese Erfahrung und dieses Wissen werden ihn oder ihr ein Leben lang bleiben. Ich erwarte nicht, daß alle Jugendlichen von ihrem Partnerland begeistert sein werden, aber ihre Zweifel oder Kritik werden zumindest durch einiges Wissen aus erster Hand geformt werden.

Präsident Reagan hat kürzlich eine internationale Jugendinitiative verkündet, die sich auf diese besondere Notwendigkeit mit dem Weitblick und der Verpflichtung konzentriert, die kennzeichnend war für den Vorschlag von Senator Fulbright, damals im Jahr 1948. Die Parlamente unserer beiden Länder - der Bundestag und der amerikanische Kongreß - haben keine Zeit verloren, um das Prinzip der Ausweitung des Jugendaustauschs zu billigen, und unsere beiden Regierungen arbeiten bereits daran, die parlamentarischen Beschlüsse in die Praxis umzusetzen. So wird beispielsweise gegenwärtig ein Plan ausgearbeitet, nach dem jedes Mitglied des Bundestages und jedes Mitglied des amerikanischen Kongresses die Möglichkeit haben wird, einen Teenager aus seinem oder ihrem Wahlbezirk dafür vorzuschlagen, ein Schuljahr im Partnerland zu verbringen. Dieses Projekt könnte im übrigen unsere gewählten politischen Vertreter anregen, sich persönlich um Austauschtätigkeiten zu kümmern, wodurch Verfahren geschaffen würden, die unseren beiden Demokratien in der nächsten Generation zum Segen gereichen dürften. Aber nicht nur das. Es ist immer wieder festgestellt worden, daß die Bande der Freundschaft, die von Jugendlichen, welche an einem Austauschprogramm teilgenommen haben, mit ihren Gastfamilien geknüpft wurden, über ihre eigenen Eltern, Verwandte und Mitschüler noch weiter verstärkt wurden. Es ist genau dieser Nährboden der menschlichen Kontakte, den wir brauchen, um den herzlichen Geist der Partnerschaft wiederherzustellen, der Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren zwischen unseren beiden Völkern bestand.

Eine weitere Austauschtätigkeit, die reiche Ernte der Verständigung bringen könnte, würde junge Deutsche und Amerikaner betreffen, die bereits in Industrie oder Landwirtschaft, als Journalisten oder Kleriker, als Lehrer oder Beamte und Gewerkschafter in den Arbeitsprozeß eingetreten sind. Auch sie werden eines Tages eine Rolle, ja vielleicht sogar eine wichtige Rolle, in der Führung unserer jeweiligen Gesellschaften spielen, und einige von ihnen sollten die Möglichkeit bekommen, ihre Lebensperspektive zu erweitern, indem sie eine Zeit lang in einem anderen Lande arbeiten. Ich freue mich, berichten zu können, daß wir in den Vereinigten Staaten auf einen Vorschlag der deutschen Bundesregierung hin damit begonnen haben, bei den Mitteln und Wegen der Zusammenarbeit mit Ihrem Lande zu prüfen, ob nicht auch die im Arbeitsprozeß stehenden Jugendlichen in die erweiterte Austauschtätigkeit zwischen unseren Völkern einbezogen werden können, wie dies jetzt ins Auge gefaßt wird - eine Austauschtätigkeit, die unsere Familien, Schulen, Universitäten, Kirchen und Berufe einschließen sollte. Nur wenn wir die menschlichen Beziehungen zwischen unseren Völkern stärken, können wir unsere gemeinsamen Werte aufrechterhalten.

Erlauben Sie mir, daß ich zum Abschluß dieser Darlegungen meine Botschaft an Sie noch einmal zusammenfasse. Wirksame politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interaktion zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland ruht auf einem Fundament menschlicher Beziehungen zwischen den Menschen Ihres Landes und des meinigen. Unsere Bürger haben Werte gemeinsam, in deren Mitte die persönhiche Freiheit, die Freiheit der Wahl und die Herrschaft des Rechts stehen - Werte, die sich über einen Zeitraum von drei Jahrhunderten entwickelt haben. Diese Werte müssen von unseren Bürgern begriffen und akzeptiert werden, wenn unsere politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bindungen erhalten bleiben sollen. Um diese Werte zu begreifen und zu schätzen, müssen unsere Bürger einander und die Gesellschaft des jeweils anderen begreifen. Um das zu erreichen, müssen wir unsere Schulen verbessern und den Austausch unserer jungen Menschen verstärken. Unsere beiden Lander sind voll und ganz in der Lage, die Mittel für eine vielfaltige Verstärkung des Jugendaustausches bereitzustellen und damit zu vermeiden, zu spät zu wenig zu tun. Das sind wir uns selbst schuldig, und das sind wir all jenen gegenüber schuldig, die nach uns kommen werden.

Der beste Weg - ja der einzige Weg - zum internationalen Frieden führt, wie Präsident Reagan kürzlich erklärt hat, 'über die Verständigung unter Nationen und Völkern.' Ich wage zu behaupten, daß das gleiche für die Erhaltung unserer westlichen Zivilisation gilt.

 
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Aktualisiert: Mai 2003