Herr Bundeskanzler,
verehrte Mitglieder der Bundesregierung, Herr Regierender Bürgermeister,
Mitglieder des diplomatischen Corps, Veteranen der Luftbrücke,
Bürgerinnen und Bürger Deutschlands:
Vor 50 Jahren war
diese Landebahn ein entscheidender Schauplatz in einem Krieg, der noch
keinen Namen bekommen hatte. 1948 brachte es die Welt noch nicht über
sich, von einem neuen Krieg zu sprechen.
Der Zweite Weltkrieg hatte Europa verwüstet und geteilt zurückgelassen.
Nirgendwo war die Krise akuter als hier in Berlin. Die Menschen waren
hungrig und hatten kein Zuhause. Hundert Jahre zuvor hatte Karl Marx
erklärt, ein Gespenst gehe um in Europa - das Gespenst des Kommunismus.
1948 fiel der Schatten dieses Gespenstes auf die Hälfte des Kontinents.
Am Rande dieses Schattens lag die Landebahn hier am Flughafen Tempelhof.
Das letzte europäische Gefechtsfeld des Zweiten Weltkriegs wurde
das erste Gefechtsfeld des Kalten Krieges.
Am 24. Juni 1948 warf Stalin dann den Fehdehandschuh mit der Weigerung,
die Versorgung der Stadt Berlin zu erlauben. Es war ein Krieg durch
Aushungerung. Zwei Millionen Menschenleben waren in Gefahr. Die Blockade
lähmte die britischen, die französischen, die amerikanischen
Verbündeten. Einige sahen keinen Ausweg und gaben widerwillig den
Ratschlag zur Evakuierung.
Das Schicksal des freien Berlins hing an einem seidenen Faden - dem
Faden der Versorgung aus der Luft. Niemand glaubte wirklich, daß
es möglich sei, eine Stadt aus der Luft zu versorgen. Ein paar
Visionäre waren jedoch überzeugt, daß es möglich
wäre. Es gab keinen Präzedenzfall - nur die einfachen Gesetze
des Gewissens und die Erfindungsgabe, die unsere wohlmeinenden Handlungen
bestimmen. Und es gab einen Präsidenten. Am 28. Juni erklärte
Harry Truman während einer Besprechung im Weißen Haus, darüber
gibt es keine Diskussion, wir bleiben in Berlin, Punkt.
Von diesem Augenblick an begann die längste Luftbrücke der
Geschichte. Die westlichen Verbündeten wurden dadurch zu Schutzmächten
und waren nicht länger Besatzungsmächte in Deutschland. Es
gibt aus dieser stolzen Zeit viele Geschichten - über die von den
Generalen Clay und Tunner übernommene Führungsrolle; über
die Opfer unter Amerikanern, Briten und Deutschen, die wir nie vergessen
dürfen; über die unzähligen Akte persönlicher Freundlichkeit
wie die von Gail Halvorsen, dem berühmten Piloten des Rosinenbombers,
der für die Berliner Kinder kleine Fallschirme mit Süßigkeiten
abwarf. Er ist heute hier und ich bitte ihn, sich zu erheben.Ich
danke Ihnen. Vielen Dank.
Wenn die Kommunisten mit den Mitteln der Angst und der Furcht kämpfen
wollten, würden wir mit Freundschaft und Überzeugungen zurückschlagen.
Heute grüße ich zusammen mit dem Bundeskanzler alle amerikanischen
Veteranen, die hierher gekommen sind, um diesen Tag zu feiern. Ich bitte
alle, die heute hier sind, sich zu erheben.
Und ich grüße die Bevölkerung Berlins. Tausende Berliner
- von Ärzten bis zu Hausfrauen - krempelten die Ärmel auf
und halfen den Amerikanern, diese Landebahn auszubauen, den Flughafen
Tegel aus dem Nichts zu stampfen, die Flugzeuge zu entladen und zu warten.
Ihr furchtloser Bürgermeister Ernst Reuter inspirierte Amerikaner
und Deutsche gleichermaßen, als er vor der versammelten Bevölkerung
erklärte: "Wir lassen uns nicht eingrenzen, wir lassen nicht
über uns verhandeln, wir lassen uns nicht verkaufen."
Und schließlich grüße ich die 75.000 Menschen aus ganz
Europa, die in irgendeiner Form zur Luftbrücke beigetragen und
sie zu einem Triumph für die Menschen gemacht haben, die überall
auf der Welt die Freiheit lieben.
Von Juni 1948 bis Mai 1949 wurden über eine Viertel Million Einsätze
geflogen - rund um die Uhr, Tag und Nacht, bei gutem und schlechtem
Wetter - ungefähr alle 90 Sekunden kam ein Flugzeug. Aber das kostbarste
Gut kam nicht in den sogenannten Carepaketen. Es war vielmehr die Hoffnung,
die durch den ständigen Lärm der Flugzeugmotoren geweckt wurde.
Die Berliner nannten diesen Motorenlärm eine Symphonie der Freiheit,
die sie daran erinnerte, daß Berlin nicht allein und die Freiheit
kein Phantasiegebilde war.
Heute muß eine neue Generation die Lehren der Luftbrücke
erneut lernen und sie zur Bewältigung der Herausforderungen dieses
neuen Zeitalters nutzen. Denn der Kalte Krieg ist Geschichte, ein demokratisches
Rußland ist unser Partner, und wir haben zum ersten Mal die Chance,
ein neues Europa aufzubauen - ungeteilt, demokratisch und friedlich.
Dennoch wissen wir alle, daß die Chancen von heute keine Garantie
für morgen sind. Trotz all der Versprechungen unserer Zeit sind
wir nicht vor Gefahr gefeit.
Und deshalb hoffe ich, daß Deutsche und Amerikaner gleichermaßen
stets die Lehren dessen beherzigen, was hier vor 50 Jahren geschah:
Daß wir uns niemals der uns übertragenen Führungsrolle
entziehen, denn der Kampf um Freiheit endet nie.
Auf dem Höhepunkt der Berlinkrise schrieb General Clay: "Ich
glaube, im Interesse der Demokratie ist es erforderlich, daß wir
hier bleiben." Das war die beste Investition, die wir in die Zukunft
Deutschlands tätigen konnten. Es ist schwer, sich einen besseren
Freund oder Verbündeten als das moderne Deutschland vorzustellen.
Wie stolz die an der Luftbrücke Beteiligten gewesen sein müssen,
als Deutschland wiedervereinigt wurde, als Deutschland die Bestrebungen
zur Einigung Europas anführte und als das moderne Gegenstück
der Carepakete nach Bosnien, Afghanistan und an andere vom Krieg verwüstete
Orte geschickt wurde - als die Menschen in Deutschland unter den ersten
waren, die diese Pakete schickten. Die Entscheidung zu bleiben, war
eine gute Investition in die Demokratie.
Jetzt müssen wir weiterhin Brücken zwischen unseren beiden
Völkern bauen. Das deutsch-amerikanische Fulbright-Programm ist
das größte der Welt. In diesem Herbst wird die Amerikanische
Akademie zu Berlin eröffnet und bringt führende Persönlichkeiten
aus unserem kulturellen Leben nach Berlin. Wir werden verstärkt
auf die Unterstützung des Parlamentarischen Patenschaftsprogramms
Kongreß/Bundestag hinarbeiten, das bereits mehr als 10.000 deutschen
und amerikanischen Studenten die Chance zum Besuch des jeweils anderen
Landes geboten hat. Das nächste Jahrhundert unserer Zusammenarbeit
für die Freiheit hat bereits in unseren Klassenzimmern begonnen.
Lassen Sie uns unseren jungen Menschen die Chance geben, noch stärkere
Brücken für die Zukunft zu bauen.
In seinem "Gesang der Geister über den Wassern" erklärte
Goethe: "Des Menschen Seele gleicht dem Wasser. Vom Himmel kommt
es, zum Himmel steigt es, und wieder nieder zur Erde muß es, ewig
wechselnd." Für mich sind diese Zeilen Ausdruck der Heldentaten
der Luftbrücke. Denn damals wurden mehr als Lebensmittel und Versorgungsgüter
abgeworfen. Mit der Zeit entstand durch die Luftbrücke eine Seelenverwandtschaft
- eine Geschichte, die den Menschen erzählt, niemals aufzugeben,
niemals den Glauben zu verlieren, daß Unbilden überwunden,
Gebete erhört, Hoffnungen erfüllt werden können. Die
Freiheit ist es wert, für sie einzutreten.
Meine Freunde, heute und in 100 Jahren werden die Bürger dieser
großartigen Stadt und alle Freunde der Freiheit auf der ganzen
Welt wissen: Berlin bleibt doch Berlin - weil einige wenige für
die Freiheit eintraten.
Ich danke Ihnen.
|