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Für die Berliner waren die Flugzeugmotoren eine "Symphonie der Freiheit"

Rede von Präsident Clinton zum 50. Jahrestag der Luftbrücke
Berlin, Flughafen Tempelhof, 14. Mai 1998

 

Herr Bundeskanzler, verehrte Mitglieder der Bundesregierung, Herr Regierender Bürgermeister, Mitglieder des diplomatischen Corps, Veteranen der Luftbrücke, Bürgerinnen und Bürger Deutschlands:

Vor 50 Jahren war diese Landebahn ein entscheidender Schauplatz in einem Krieg, der noch keinen Namen bekommen hatte. 1948 brachte es die Welt noch nicht über sich, von einem neuen Krieg zu sprechen.

Der Zweite Weltkrieg hatte Europa verwüstet und geteilt zurückgelassen. Nirgendwo war die Krise akuter als hier in Berlin. Die Menschen waren hungrig und hatten kein Zuhause. Hundert Jahre zuvor hatte Karl Marx erklärt, ein Gespenst gehe um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. 1948 fiel der Schatten dieses Gespenstes auf die Hälfte des Kontinents. Am Rande dieses Schattens lag die Landebahn hier am Flughafen Tempelhof. Das letzte europäische Gefechtsfeld des Zweiten Weltkriegs wurde das erste Gefechtsfeld des Kalten Krieges.

Am 24. Juni 1948 warf Stalin dann den Fehdehandschuh mit der Weigerung, die Versorgung der Stadt Berlin zu erlauben. Es war ein Krieg durch Aushungerung. Zwei Millionen Menschenleben waren in Gefahr. Die Blockade lähmte die britischen, die französischen, die amerikanischen Verbündeten. Einige sahen keinen Ausweg und gaben widerwillig den Ratschlag zur Evakuierung.

Das Schicksal des freien Berlins hing an einem seidenen Faden - dem Faden der Versorgung aus der Luft. Niemand glaubte wirklich, daß es möglich sei, eine Stadt aus der Luft zu versorgen. Ein paar Visionäre waren jedoch überzeugt, daß es möglich wäre. Es gab keinen Präzedenzfall - nur die einfachen Gesetze des Gewissens und die Erfindungsgabe, die unsere wohlmeinenden Handlungen bestimmen. Und es gab einen Präsidenten. Am 28. Juni erklärte Harry Truman während einer Besprechung im Weißen Haus, darüber gibt es keine Diskussion, wir bleiben in Berlin, Punkt.

Von diesem Augenblick an begann die längste Luftbrücke der Geschichte. Die westlichen Verbündeten wurden dadurch zu Schutzmächten und waren nicht länger Besatzungsmächte in Deutschland. Es gibt aus dieser stolzen Zeit viele Geschichten - über die von den Generalen Clay und Tunner übernommene Führungsrolle; über die Opfer unter Amerikanern, Briten und Deutschen, die wir nie vergessen dürfen; über die unzähligen Akte persönlicher Freundlichkeit wie die von Gail Halvorsen, dem berühmten Piloten des Rosinenbombers, der für die Berliner Kinder kleine Fallschirme mit Süßigkeiten abwarf. Er ist heute hier und ich bitte ihn, sich zu erheben.
Ich danke Ihnen. Vielen Dank.

Wenn die Kommunisten mit den Mitteln der Angst und der Furcht kämpfen wollten, würden wir mit Freundschaft und Überzeugungen zurückschlagen. Heute grüße ich zusammen mit dem Bundeskanzler alle amerikanischen Veteranen, die hierher gekommen sind, um diesen Tag zu feiern. Ich bitte alle, die heute hier sind, sich zu erheben.

Und ich grüße die Bevölkerung Berlins. Tausende Berliner - von Ärzten bis zu Hausfrauen - krempelten die Ärmel auf und halfen den Amerikanern, diese Landebahn auszubauen, den Flughafen Tegel aus dem Nichts zu stampfen, die Flugzeuge zu entladen und zu warten. Ihr furchtloser Bürgermeister Ernst Reuter inspirierte Amerikaner und Deutsche gleichermaßen, als er vor der versammelten Bevölkerung erklärte: "Wir lassen uns nicht eingrenzen, wir lassen nicht über uns verhandeln, wir lassen uns nicht verkaufen."

Und schließlich grüße ich die 75.000 Menschen aus ganz Europa, die in irgendeiner Form zur Luftbrücke beigetragen und sie zu einem Triumph für die Menschen gemacht haben, die überall auf der Welt die Freiheit lieben.

Von Juni 1948 bis Mai 1949 wurden über eine Viertel Million Einsätze geflogen - rund um die Uhr, Tag und Nacht, bei gutem und schlechtem Wetter - ungefähr alle 90 Sekunden kam ein Flugzeug. Aber das kostbarste Gut kam nicht in den sogenannten Carepaketen. Es war vielmehr die Hoffnung, die durch den ständigen Lärm der Flugzeugmotoren geweckt wurde. Die Berliner nannten diesen Motorenlärm eine Symphonie der Freiheit, die sie daran erinnerte, daß Berlin nicht allein und die Freiheit kein Phantasiegebilde war.

Heute muß eine neue Generation die Lehren der Luftbrücke erneut lernen und sie zur Bewältigung der Herausforderungen dieses neuen Zeitalters nutzen. Denn der Kalte Krieg ist Geschichte, ein demokratisches Rußland ist unser Partner, und wir haben zum ersten Mal die Chance, ein neues Europa aufzubauen - ungeteilt, demokratisch und friedlich. Dennoch wissen wir alle, daß die Chancen von heute keine Garantie für morgen sind. Trotz all der Versprechungen unserer Zeit sind wir nicht vor Gefahr gefeit.

Und deshalb hoffe ich, daß Deutsche und Amerikaner gleichermaßen stets die Lehren dessen beherzigen, was hier vor 50 Jahren geschah: Daß wir uns niemals der uns übertragenen Führungsrolle entziehen, denn der Kampf um Freiheit endet nie.

Auf dem Höhepunkt der Berlinkrise schrieb General Clay: "Ich glaube, im Interesse der Demokratie ist es erforderlich, daß wir hier bleiben." Das war die beste Investition, die wir in die Zukunft Deutschlands tätigen konnten. Es ist schwer, sich einen besseren Freund oder Verbündeten als das moderne Deutschland vorzustellen.

Wie stolz die an der Luftbrücke Beteiligten gewesen sein müssen, als Deutschland wiedervereinigt wurde, als Deutschland die Bestrebungen zur Einigung Europas anführte und als das moderne Gegenstück der Carepakete nach Bosnien, Afghanistan und an andere vom Krieg verwüstete Orte geschickt wurde - als die Menschen in Deutschland unter den ersten waren, die diese Pakete schickten. Die Entscheidung zu bleiben, war eine gute Investition in die Demokratie.

Jetzt müssen wir weiterhin Brücken zwischen unseren beiden Völkern bauen. Das deutsch-amerikanische Fulbright-Programm ist das größte der Welt. In diesem Herbst wird die Amerikanische Akademie zu Berlin eröffnet und bringt führende Persönlichkeiten aus unserem kulturellen Leben nach Berlin. Wir werden verstärkt auf die Unterstützung des Parlamentarischen Patenschaftsprogramms Kongreß/Bundestag hinarbeiten, das bereits mehr als 10.000 deutschen und amerikanischen Studenten die Chance zum Besuch des jeweils anderen Landes geboten hat. Das nächste Jahrhundert unserer Zusammenarbeit für die Freiheit hat bereits in unseren Klassenzimmern begonnen. Lassen Sie uns unseren jungen Menschen die Chance geben, noch stärkere Brücken für die Zukunft zu bauen.

In seinem "Gesang der Geister über den Wassern" erklärte Goethe: "Des Menschen Seele gleicht dem Wasser. Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es, und wieder nieder zur Erde muß es, ewig wechselnd." Für mich sind diese Zeilen Ausdruck der Heldentaten der Luftbrücke. Denn damals wurden mehr als Lebensmittel und Versorgungsgüter abgeworfen. Mit der Zeit entstand durch die Luftbrücke eine Seelenverwandtschaft - eine Geschichte, die den Menschen erzählt, niemals aufzugeben, niemals den Glauben zu verlieren, daß Unbilden überwunden, Gebete erhört, Hoffnungen erfüllt werden können. Die Freiheit ist es wert, für sie einzutreten.

Meine Freunde, heute und in 100 Jahren werden die Bürger dieser großartigen Stadt und alle Freunde der Freiheit auf der ganzen Welt wissen: Berlin bleibt doch Berlin - weil einige wenige für die Freiheit eintraten.

Ich danke Ihnen.

 

 
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Aktualisiert: Januar 2005