Deutsch-amerikanische akademische Traditionen Rede
von Botschafter Daniel R. Coats |
Vielen Dank Herr
Professor Glaeßner, Professor Mlynek, Professor Nickel, Professor
Ischinger, liebe Studenten,
es ist mir eine Freude, heute bei Ihnen zu sein. Dies ist das zweite Mal, dass ich Gelegenheit habe, zu Studenten der Humboldt Universität zu sprechen. Vor eineinhalb Jahren habe ich an der W.E.B. DuBois Vortragsreihe teilgenommen, benannt nach einem der bekanntesten amerikanischen Austauschgelehrten an dieser Universität. W.E.B. DuBois war der erste Afroamerikaner, der 1896 von der Harvard Universität einen Doktortitel erhielt. Im Jahre 1891, nachdem er mit Hilfe eines Stipendiums seinen M.A. in Harvard erworben hatte, bewarb er sich um ein Stipendium für ein Auslandsstudium. DuBois entschied sich für die Humboldt-Universität, da diese als eine der weltbesten Institutionen der höheren Bildung galt. Eine weitere wichtige Verbindung zwischen der Humboldt-Universität und den Vereinigten Staaten war der direkte persönliche Kontakt zwischen dem Verfasser unserer Unabhängigkeitserklärung, dem dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Thomas Jefferson, und Alexander von Humboldt. Die beiden unterhielten sich oft über Humboldts Forschungsreisen durch den amerikanischen Kontinent und Jefferson lobte Humboldts "unermesslichen Fundus an Informationen". Der Dialog zwischen einem amerikanischen Präsidenten, der bekannt war für sein Interesse an Lehre und Technologie und einem der berühmtesten deutschen Forscher fußte auf jahrhundertealten Beziehungen zwischen unseren beiden Nationen. Im Jahre 1507 erstellte Martin Waldseemüller, ein Gelehrter der Freiburger Universität, die erste Weltkarte, die den neuen westlichen Erdteil zeigte, den Christoph Kolumbus 15 Jahre zuvor entdeckt hatte. Waldseemüller nannte ihn "America", nach dem Italiener Amerigo Vespucci, der Kolumbus auf seinen Reisen begleitet hatte. Am Ende des 19. Jahrhunderts reiste eine Gruppe amerikanischer Universitätsverwalter nach Europa, um dort ausgewählte Universitätssysteme zu analysieren. Sie kamen zu dem Schluss, dass deutsche Universitäten – allen voran das Modell der Humboldt-Universität – eine gute Grundlage für die akademische Ausbildung böten, da diese sowohl Forschung als auch Lehre betonten. Daraufhin wurde das deutsche System, in dem der Professor Forschung und Lehre miteinander verband, langsam aber sicher ein wesentlicher Bestandteil der amerikanischen Hochschulausbildung. Im 20. Jahrhundert setzten die Gelehrten und Intellektuellen, die Nazideutschland verlassen mussten, ihre Arbeit an amerikanischen Universitäten und anderen Institutionen fort. Der vielleicht bekannteste Name auf dieser Liste ist Albert Einstein, der ebenfalls eine Verbindung zur Berliner Universität hatte. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben tausende amerikanischer und deutscher Studenten und Gelehrter an Austauschprogrammen teilgenommen. Bei meinen Reisen in Deutschland haben mir viele Deutsche von ihren Erfahrungen in den Vereinigten Staaten erzählt. Im letzten Jahr haben mehr als 9.000 deutsche Studenten an amerikanischen Universitäten studiert. Hinzu kommen Forscher und Professoren, die an speziellen Projekten arbeiten, Praktikanten und Austauschschüler. Es gibt also eine Menge Gemeinsamkeiten zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Hochschulsystem. Aber es gibt auch wichtige Unterschiede. In der zur Zeit in Deutschland geführten Debatte über das Konzept von Eliteuniversitäten und bei den Studentenprotesten wurde oft das Beispiel der amerikanischen Hochschulausbildung herangezogen. Daher möchte ich kurz die wesentlichen Merkmale amerikanischer Universitäten beschreiben. In den Vereinigten Staaten gilt der Zugang zur höheren Bildung als wesentlich zur Sicherung der öffentlichen, privaten, sozialen und wirtschaftlichen Stabilität und des Wohlstandes. Die Aufnahme eines Universitätsstudiums umfasst mehr als die Verbesserung der beruflichen Aufstiegschancen. Der Prozentsatz der Abiturienten, der ein Universitätsstudium aufnimmt, ist im Vergleich zu vielen anderen Gesellschaften hoch. Eine Studie aus dem Jahr 1999 zeigt, dass in den Vereinigten Staaten 28 Prozent aller erwachsenen US-Bürger im Alter von 18 – 24 Jahren an Hochschulen eingeschrieben sind. Nach meinen Informationen sind in Deutschland in dieser Altersklasse nur 15 Prozent der Bevölkerung eingeschrieben. Vor einigen Jahren nahm ein Bundesminister für Wissenschaft und Kultur an einer von der Botschaft gesponserten Informationsreise in die Vereinigten Staaten teil. Mit Erstaunen nahm er zur Kenntnis, dass selbst an den teuersten amerikanischen Universitäten der Prozentsatz von Studenten aus Familien mit geringem Einkommen höher ist als an deutschen Universitäten. Chancen stehen nicht nur den Eliten oder anderen Privilegierten offen, sondern jedem, der lernen möchte. In diesem Punkt wird das amerikanische Bildungssystem oft falsch wahrgenommen. Ein Eckpfeiler des amerikanischen Hochschulsystems ist finanzielle Unterstützung, basierend sowohl auf Leistung als auch auf finanzieller Bedürftigkeit. Colleges und Universitäten, die Regierung in Washington und die Regierungen der Bundesstaaten sowie eine Vielzahl von öffentlichen und privaten Organisationen bieten Stipendien und Darlehen an. Das amerikanische Hochschulsystem umfasst 3.500 Colleges und Universitäten. Die Vielfalt der Studienfächer und Forschungsangebote ist enorm. Ein Institut kann sowohl Promotionsprogramme für hochqualifizierte Studenten als auch Einführungskurse oder Tutorien in Lesen, Schreiben und Mathematik für Studenten der unteren Semester anbieten. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es eine Vielzahl von Angeboten. In diesem Zusammenhang gibt es ein weiteres wichtiges Ziel: studentische Vielfalt. Indem sie Studenten unterschiedlicher Herkunft, mit verschiedenen Lebenserfahrungen, geographischen Wurzeln sowie verschiedener Rassen und Ethnien zusammenbringen, dienen die Universitäten dem amerikanischen Ideal einer integrierten und toleranten Gesellschaft, die den wesentlichen Prinzipien von Bürgerrechten und politischen Rechten verpflichtet ist. Die Studenten in die Universitätsgemeinschaft zu integrieren ist eines der obersten Ziele amerikanischer Universitäten. Die Studenten werden betreut und ermutigt, an Aktivitäten außerhalb der Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Sie bekommen studentische Berater zur Seite gestellt, mit denen sie sich regelmäßig treffen. Ganz bewusst versuchen die meisten Colleges und Universitäten, die Studenten als Individuen zu fördern. Dies gilt sowohl im Unterricht als auch außerhalb der Lehrveranstaltungen. Ein weiteres Merkmal des amerikanischen Hochschulsystems ist seine duale Struktur, eine Unterteilung in öffentliche und private Colleges und Universitäten. Jede einzelne Institution hat ihren unverrückbaren Beitrag zur amerikanischen Hochschulbildung geleistet. Öffentliche Colleges und Universitäten verfolgen den Grundsatz breiter und fairer Zugangsbedingungen sowie eine Ausrichtung auf die lokalen Bedürfnisse. Private Colleges und Universitäten verknüpfen Spitzenleistungen mit finanzieller Unterstützung und akademischer Unabhängigkeit. Ein weiterer Einflussfaktor im amerikanischen Hochschulwesen ist die Partnerschaft zwischen der Regierung und den Forschungsabteilungen der Universitäten. Die finanzielle Unterstützung der Forschung in den Bereichen Computerwissenschaft, Medizin, Ingenieurwesen und anderen ausgewählten Fächern ist eine treibende Kraft bei der Erweiterung der amerikanischen Universitäten. Besonders erfolgreich waren in letzter Zeit Forschungspartnerschaften zwischen Regierung, Universitäten und Privatsektor. In Zukunft wird es allerdings mehr Wettbewerb zwischen "staatlichen" und "kommerziellen" Forschungsinstitutionen geben, so dass die Universitäten in den Vereinigten Staaten darauf reagieren müssen. Wir begrüßen diesen Wettbewerb, da er zu den besten Ergebnissen führt. Es gibt aber noch andere starke neue Kräfte, die das Wesen der amerikanischen Hochschulbildung beeinflussen. Das Wirtschaftswachstum ist eindeutig einer dieser Faktoren gewesen. Die Höhe der Stiftungsgelder und die Bereitschaft von Einzelpersonen zur finanziellen Unterstützung von Universitäten sind enorm gestiegen. Viele Universitäten, einschließlich der öffentlichen Universitäten, bestreiten einen Großteil ihrer jährlichen Einkünfte aus privaten Schenkungen. Institutionen wie Harvard werden oft als Beispiel angeführt, aber schauen wir uns eine staatliche Universität an. Die Universität von Michigan ist eine staatliche Institution, allerdings erhielt sie von der Regierung in Michigan im letzten Jahr nur 380 Millionen Dollar. Die restlichen Betriebskosten der Universität stammen aus Stiftungsgeldern, Bundesdarlehen, Einnahmen des Universitätskrankenhauses und Studiengebühren. Allein die Gelder aus Studiengebühren belaufen sich auf beinahe 300 Millionen Dollar. An amerikanischen Colleges und Universitäten bedeuten höhere Studentenzahlen mehr Geld. Daher steht man neuen Forschungszweigen aufgeschlossener gegenüber. Dies wiederum führt zur Einrichtung von neuen Bibliotheken, Vorlesungssälen, Forschungslaboren, Wohntrakten, Fakultäten, Büros und öffentlichen Anlagen – sowie zur Vergabe neuer Stipendien. Universitäten waren lange federführend bei der Schaffung neuen Wissens und neuer Ideen. In einer zunehmend globalisierten Welt, einhergehend mit schnellem wissenschaftlichen Fortschritt, müssen die Universitäten allerdings neue Wege finden, ihre Studenten auf die Welt nach dem akademischen Abschluss vorzubereiten. Es steht außer Frage, dass das Wohlergehen des Einzelnen ebenso wie der Wohlstand und Erfolg von Nationen mehr als je zuvor von der Fähigkeit abhängen, Wissen zu erzeugen und zu nutzen. Eine Frage ist entscheidend: Wie können die heutigen Universitäten erfolgreich ihren Auftrag, den Geist einer Nation zu kultivieren, mit der Notwendigkeit vereinbaren, qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden und eine leistungsfähige Wirtschaft zu unterstützen? Diese Diskussion ist nicht neu. Auf diese und andere Fragen konzentrierten sich drei Konferenzen zum Thema "Universitäten der Zukunft", die in den Jahren 2002 und 2003 von der Amerikanischen Botschaft und deutschen Hochschulinstitutionen finanziert wurden. Die Diskussion drehte sich in erster Linie um die Universitätsreformen in Deutschland, weniger um die Vereinigten Staaten. Die Vision der deutschen Universität der Zukunft – eine Vision gekennzeichnet durch Flexibilität, Transparenz, Wettbewerb und Leistungsorientierung – ist voll und ganz mit den Zielen der amerikanischen Universitäten vergleichbar. Ich habe vorhin bereits die von der Botschaft gesponserte Reise eines Bundesministers für Wissenschaft und Kultur zu verschiedenen amerikanischen Colleges und Universitäten erwähnt. In Bezug auf das amerikanische Bildungssystem stellte er nach seiner Rückkehr Folgendes fest: · Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung und die daraus resultierenden technologischen Innovationen sind ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der amerikanischen Wirtschaft. · Colleges und Universitäten in den Vereinigten Staaten profitieren erheblich von einem Steuersystem, das privates Sponsoring unterstützt. · Frei verhandelbare Gehälter für Professoren sind leistungsbezogen; die Leistung wird teilweise von den Studenten bewertet. · Durch Programme zur Aus- und Weiterbildung sind Nachwuchsforscher unabhängiger und früher in der Lage, zu lehren und zu forschen. · Es wird Wert auf eine Ausbildung des Studenten als "Gesamtpersönlichkeit" gelegt – dies beinhaltet allgemeine Qualifikationen wie Kommunikationsfähigkeit und Teamgeist. · Kulturelle und sportliche Veranstaltungen schaffen gemeinsam mit dem Campus-Leben ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das zu einer starken Identifikation mit dem College oder der Universität führt. Können einige der Beobachtungen zum amerikanischen System sich hier in Deutschland widerspiegeln? Wenn man die Beziehung zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Bildungssystem betrachtet, sieht man, dass wir eine Menge voneinander gelernt haben. Analyse und Bewertung der best practices – in den jeweiligen Systemen – haben die Entscheidungen von Lehrenden und Politikern auf beiden Seiten des Atlantiks beeinflusst. Ich habe versucht, einige der wesentlichen Merkmale des derzeitigen amerikanischen Systems aufzuzeigen, die hoffentlich als Grundlage für Vergleiche und Bewertungen in der Debatte um mögliche Reformen des deutschen Bildungssystems dienen können. Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, heute bei Ihnen zu sein und freue mich, Ihre Vorschläge zu hören. Hiermit eröffne ich die Diskussion. Vielen Dank. |
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U.S. Diplomatic Mission to Germany/Public
Affairs/Information Resource Centers Aktualisiert: April 2004 |