Als John J. McCloy
1949 nach Deutschland kam, war er zum zweiten MaI als Besatzer hier.
Der Kriegsveteran, der im Ersten Weltkrieg kurz vor dem Waffenstillstand
an Gefechten in der Gegend von Koblenz teilgenommen hatte, war zum ersten
MaI mit der American Expeditionary Force nach Deutschland gekommen und
wurde der regulären Besatzungsarmee zugeordnet. Er sagte später
einmal über diese Zeit: "viele von uns, die während des
Ersten Weltkriegs an der Besetzung Deutschlands beteiligt waren ...
hatten erfahren, wie bitter diese Besetzung war. Und wir aIIe hatten
es noch gut in Erinnerung die Reparationsfrage, die Wiederbesetzung
der Ruhr, die Schikanen, die Agitation und die Irritationen, aus denen
Hitler später, als er an die Macht kam, so Kapital schlagen konnte."
Der neue amerikanische Hohe Kommissar hatte die Vision, daß das
vom Krieg verwüstete Deutschland eines Tages seine RoIIe als starke
europäische Macht wieder einnehmen würde und dieses neue Deutschland
unter einer ordentlichen politischen Führung in der westlichen
demokratischen Werteordnung neu erblühen würde. McCloy traf
bei seiner Ankunft in Deutschland auf moralische und physische Trümmerfelder,
und so begann er rasch, seine Vision in die Tat umzusetzen. Seine Aufgabe
war es, wie es Gräfin Dönhoff einmal formulierte, die ihm
"tagtäglich Entscheidungen abverlangte, die auf Jahre hinaus
die Entwicklung bestimmten".
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen wurden geprägt von McCloys
scharfsinnigem Verständnis für die Aufgaben, die Deutschland
in einer neuen Ära der Versöhnung und des Wiederaufbaus erwarteten.
Er erkannte die entscheidende Bedeutung der Beziehung Deutschlands zu
Frankreich und Westeuropa und auch die Chance der Vereinigten Staaten,
friedliche und florierende transatlantische Beziehungen aufzubauen.
Er entwickelte ein gutes Arbeitsverhältnis zu den deutschen Nachkriegspolitikern
Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem SPD Vorsitzenden Kurt Schumacher,
auch wenn er mit ihrer Art zu regieren nicht immer einverstanden war.
Noch wichtiger war, daß er zusammen mit dem ihm freundschaftlich
verbundenen Jean Monnet dazu ermutigte, Deutschland wieder in die westliche
Staatengemeinschaft einzugliedern. Er initiierte Deutschlands Beitritt
zur NATO, was nur ein Jahrzehnt nach dem Ende des verheerenden Krieges
die Wiederbewaffnung Deutschlands bedeutete. Er setzte sich auch nachdrücklich
für die amerikanische Zustimmung zum Schuman PIan ein, der zur
Bildung der Montanunion, der
Europäischen Gemeinschaft und schließlich zur Europäischen
Union führte.
McCIoy, Sohn eines Versicherungsangestellten, verlor seinen Vater im
Alter von sechs Jahren. Seine Mutter erlernte einen Pflegeberuf, damit
ihr einziger überlebender Sohn eine erstklassige Schulbildung erhielt.
McCloy, der ein guter Sportler und Student war, erhielt ein Stipendium
für Amherst und studierte später an der juristischen Fakultät
der Harvard Universität. Während des Zweiten Weltkriegs war
er Berater von Kriegsminister Henry Stimson und verfaßte in dieser
Funktion die Kapitulationsartikel für Japan. In seiner Funktion
als Berater Roosevelts wandte er sich entschieden gegen den Morgenthau
Plan, der Deutschland auf einen Agrarstaat reduziert hätte. Nach
dem Krieg praktizierte McCIoy als Anwalt in New York, kehrte aber bald
als Präsident der neuen Weltbank ins öffentliche Leben zurück.
Im Jahr 1949, dem Gründungsjahr der Bundesrepublik Deutschland,
berief Präsident Truman McCloy als Militärgouverneur nach
Deutschland, wo er im wesentlichen die Politik seines Vorgängers,
General Lucius Clay, fortführte. Als die Vereinigten Staaten ein
Jahr später von der Besetzung zur Beaufsichtigung übergingen,
wurde McCloy amerikanischer Hoher Kommissar, eine Position, die seine
Talente als Diplomat und Manager forderte. McCloys Einsatz war insbesondere
deshalb so effektiv, weil er das Vertrauen des Präsidenten genoß
und ein ausgezeichnetes Verhältnis zum amerikanischen Heer sowie
zu Averell Harriman, dem Direktor der Marshallplan Hilfe, hatte. Er
benutzte seine fast diktatorische Macht, um in Deutschland Demokratie
und die Wiederbelebung der Wirtschaft in jedem Detail voranzubringen,
auch wenn er sich dabei manchmal auf politisch gefährlichem Grund
bewegte, beispielsweise als er ein Urteil gegen die Familie Krupp, das
während der Nürnberger Prozesse gefällt worden war, aufhob.
Während seiner Amtszeit trug er dazu bei, den Grundstein für
„normalere" Beziehungen zu legen, die die souveräne deutsche
Regierung später mit der neuen US-Botschaft in Bad Godesberg fortführen
sollten.
Es wurde viel getan für die ,,Normalisierung". Als amerikanischer
Hoher Kommissar in Deutschland war es McCloys Hauptanliegen, den Übergang
von der militärischen zur zivilen Kontrolle voranzutreiben. Im
Mai 1949, zwei Monate vor der Ankunft McCloys, war das deutsche Grundgesetz
verabschiedet worden. Im August verfolgte McCloy die ersten Bundestagswahlen
der Nachkriegszeit. lm September wurde Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten
der Bundesrepublik gewählt. Nachdem die Regierung eingesetzt war,
konzentrierte er sich auf die Wirtschaftsreform und die Auslandsbeziehungen.
Am Abend des Tages, an dem Konrad Adenauer zum Bundeskanzler gewählt
worden war, telefonierte dieser mit McCIoy, um seinen Rat einzuholen,
was die erste Priorität bei der Führung des Landes anging.
„Die Wiederannäherung an Frankreich", war McCloys Antwort.
Ein amerikanischer Diplomat berichtete vom ersten offiziellen Besuch
Bundeskanzler Adenauers in Frankreich: ,,Die frisch gebackene deutsche
Regierung hatte zu diesem Zeitpunkt natürlich keine lnfrastruktur,
weshalb wir ihr großzügig eine schon etwas altersschwache
DC4 zur Verfügung stellten, bei der die US Luftwaffen Beschriftung
eilig übermalt worden war, und schickten Adenauer damit nach Frankreich".
In wirtschaftlicher Hinsicht war der Morgenthau Plan vom Tisch, aber
die Grundsätze amerikanischen Handelns in Deutschland (die bekannte
JCS 1067) brachten die soziale oder wirtschaftliche Rehabilitation des
Landes nicht in Gang. Der Pragmatiker McCloy kam zu der Schlußfolgerung:
,,Das kann man nicht wortwörtlich ausführen". Unter diesen
Bedingungen ist es schlicht so, daß man nicht unter den Deutschen
leben konnte, wenn man gleichzeitig für ihr Wohlergehen, Frieden
und die Notwendigkeit, ihnen zu essen zu geben, zuständig war".
Entsprechend änderte sich auch der Schwerpunkt der amerikanischen
Politik, nachdem man von direkter Hilfe und der Beseitigung der Kriegsschäden
dazu überging, die deutsche Wirtschaft wieder aufzubauen, die bei
der Erholung Westeuropas eine Schlüsselrolle im Sinne des Marshall
Plans spielte. Nach McCloys Ansicht trug der Marshall Plan zwar zur
wirtschaftlichen Erholung des Landes bei, das ,,Wirtschaftswunder"
dagegen hätten die Deutschen selbst vollbracht. Er formulierte
es so: ,,Das Lob gebührt Ludwig Erhard, der ... entgegen unseren
Einwänden, wir waren der Auffassung, er ginge zu schnell vor, darauf
beharrte, die (wirtschaftlichen) Kontrollen aufzuheben. Aber er hatte
ein gutes Urteilsvermögen und zur rechten Zeit ein gutes Händchen,
und die Deutschen, allesamt talentierte Arbeiter, wußten, wie
man die Dinge produzierte, nach denen die ganze Welt damals dürstete."
Im Jahre 1950 war die Reform der europäischen Kohle und Stahlindustrie,
insbesondere die Beziehung der französischen und der deutschen
Wirtschaft im Ruhrgebiet das vorrangigste Anliegen. Der Absicht, lndustriekartelle
aufzulösen und das Bankwesen zu dezentralisieren, war bis dato
nur begrenzter Erfolg beschieden. In der Zwischenzeit bemühte man
sich im Rahmen des Schuman Plans um die Auflösung deutscher Kohle
und Stahltrusts, um die französischen, deutschen und belgischen
lnteressen dieser lndustriezweige zu koordinieren und einen gemeinsamen
europäischen Markt zu errichten. Die deutsche lndustrie widersetzte
sich diesen Zielen. McCloy machte den Einfluß der amerikanischen
Regierung geltend und arbeitete mit seinem Freund Jean Monnet eng zusammen,
um Bonn zur Akzeptanz der Anti-Trust Bestimmungen des Plans zu bewegen.
Das Ergebnis war ein bahnbrechender Vertrag, der schließlich im
März 1951 unterzeichnet wurde und der später die Grundlage
für die Europäische Gemeinschaft bildete.
Angesichts der sowjetischen Bedrohung waren Sicherheit und Verteidigung
ebenso dringliche Anliegen. Als die NATO 1949 gegründet wurde,
war niemand daran interessiert, irgendeine Form deutscher Streitkräfte
in Betracht zu ziehen. Die Situation änderte sich im Juni 1950
schlagartig, als Nordkorea in den Süden des Landes einfiel. Die
Wiederbewaffnung Deutschlands wurde eine realistische Möglichkeit.
Der Einsatz sowjetischen Militärs, so McCloy, „erregte Europa und
insbesondere Westdeutschland, dessen Situation eine Parallele darstellte,
an die man nur sehr ungern dachte". Die Westmächte hatten
klare Ansichten, was eine Wiederbewaffnung Deutschlands anging. Frankreich
war strikt gegen irgendeine Form deutschen Militärs, während
Amerika nicht willens war, amerikanische Truppen für die Verteidigung
Europas zu stellen, ohne irgendeinen deutschen Beitrag hierzu. Um den
Ängsten Frankreichs entgegenzuwirken, favorisierte McCIoy eine
vereinigte europäische Armee, immer noch unter atlantischem Kommando,
aber mit einem europäischen Ministerium und ohne deutsches Verteidigungsministerium
oder einen deutschen Generalstab. McCIoy überzeugte die neue Regierung
unter Eisenhower davon, wie sinnvoll eine europäische Streitkraft
wäre und trat für diese auch in Bonn, Paris und London ein.
Die Auseinandersetzung erwies sich als außerordentlich komplex
und schwierig zu gewinnen. Erst 1955, Jahre nachdem McCloy seinen Posten
als Hoher Kommissar verlassen hatte, wurde Deutschland schließlich
in die NATO aufgenommen. Nichtsdestotrotz hat sich seine Argumentation
durchgesetzt, und Frankreich akzeptierte letztlich die Wiederbewaffnung
Deutschlands.
Kultur und Bildung waren andere wichtige Anliegen. Unter McCloys Führung
widmete die Hohe Kommission den jungen Menschen in Deutschland besondere
Aufmerksamkeit. Während McCloys gesamter Amtszeit setzte er sich
für ihre Entwicklung zu guten westeuropäischen Staatsbürgern
ein, die über die Vereinigten Staaten gut informiert sein sollten.
Die deutschen Universitäten, die in das nationalsozialistische
System und seine ldeologie mit hineingezogen worden waren, bedurften
einer gründlichen Säuberung. Viele der Rektoren wurden aus
ihrem Amt entfernt, und die Lehre auf allen Ebenen fand unter amerikanischer
und britischer Anleitung statt. Shepard Stone, ein Freund und Kollege
McCloys, hatte ein besonderes lnteresse an der Reform des deutschen
Bildungswesens, und die Hohe Kommission unterstützte besonders
die Freie Universität Berlin mit finanziellen Mitteln. Nach seiner
Amtszeit als Hoher Kommissar war McCIoy entscheidend daran beteiligt,
eine ganze Reihe von Stipendien und Fellowships ins Leben zu rufen,
die dazu beitragen sollten, daß Deutsche und Amerikaner mehr über
das Land des jeweils anderen lernen konnten und so über Jahrzehnte
hinweg die deutsch-amerikanischen Beziehungen gefestigt wurden. Die
Harvard Universität und die ColumbiaUniversität waren an akademischen
FellowshipProgrammen beteiligt; es gab Stipendien des American Councils
on Germany, einer Organisation, an deren Gründung Frau McCIoy beteiligt
war.
lm Jahr 1953 zog sich McCloy ins Privatleben zurück. Sein Interesse
an den deutsch-amerikanischen Beziehungen war aber nach wie vor ungebrochen.
Er war u.a. Berater der Präsidenten Eisenhower, Kennedy und Johnson
und saß viele Jahre im Vorstand des American Council on Germany.
John McCloy trug persönlich die Verantwortung für den wohl
denkwürdigsten Augenblick im deutsch-amerikanischen Verhältnis
. In der nervösen internationalen Atmosphäre des Sommers 1963
plante John F. Kennedy einen Besuch in der Bundesrepublik und holte
sich Rat bei dem ehemaligen Hohen Kommissar. Zu Beginn ihres Gesprächs
informierte Präsident Kennedy McCloy darüber, daß er
Berlin nicht besuchen würde seine Berater hätten ihm wegen
der großen Spannungen eindringlich davon abgeraten. Der verärgerte
McCloy erwiderte, daß der Präsident, könnte er Berlin
in dieser kritischen Zeit nicht besuchen, am besten ganz von seiner
Reise in die Bundesrepublik Abstand nehmen sollte. Kennedy änderte
seine Absicht, reiste nach Berlin, wo er die inzwischen berühmten
Worte sprach: ,,Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen,
sind Bürger dieser Stadt Berlin, und daher bin ich als freier Mann
stolz darauf, sagen zu können: "lch bin ein Berliner".
John McCloy starb 1989 kurz vor seinem 94. Geburtstag, vierzig Jahre
nach der Geburt der Bundesrepublik Deutschland. Er hat den Fall der
Berliner Mauer nicht mehr erlebt, aber er starb in dem sicheren Wissen,
daß die von ihm angestrebte ,,glänzende Versöhnung"
zwischen Deutschland und Amerika Iängst erreicht worden war.
Garrick Utley
ist Vorsitzender des American Council on Germany (ACG), ein bedeutendes
deutsch-amerikanisches Austausch Forum auf hoher Ebene. Seine Beiträge
erscheinen regelmäßig bei CNN.
Aus: A Vision Fulfilled. 50 Jahre Amerikaner am Rhein. United States
Embassy Bonn, 1949 - 1999. Edited by Christine Elder and Elizabeth G.
Sammis. Published by United States Embassy Bonn.
© Department of State, 1999.
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