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Die Berlin Krise. (1958 - 1962)
Von Martin J. Hillenbrandt

Im Hinblick auf den gesamten Ablauf des Kalten Krieges erscheint die Berlinkrise von 1958 bis 1962 heute lediglich als ein Zwischenfall in einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen zwischen den beiden Supermächten und ihren Alliierten. Für die NATO-Mitglieder, insbesondere für die Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland, wurde die sowjetische Bedrohung Berlins jedoch während dieser vier intensiven Jahre zur Chefsache von Präsidenten, Ministerpräsidenten, Außenministern, führenden Militärs, sowie in Botschaften und Medien. Mit der zunehmenden Stationierung von amerikanischen und sowjetischen Nuklearsprengköpfen ergaben sich hinsichtlich der Sicherheitsgarantie für Berlin zwangsläufig schwierige und moralisch komplexe Probleme sowohl in strategischen als auch in diplomatischen Fragen.

Bis dato hatten die Sowjets bereits bei vielen Gelegenheiten ihre große Unzufriedenheit hinsichtlich der Existenz der freien Berliner West-Sektoren zum Ausdruck gebracht. 1947 bis 1948 blockierten sie sogar den Landweg zu und aus den Sektoren. Die Rede von Nikita Chruschtschow am 10. November 1958 und die formelleren und präziseren sowjetischen Noten an die drei westlichen Besatzungsmächte vom 27. November 1958 jedoch bedeuteten eigentlich ein Ultimatum. In seiner Rede brachte Chruschtschow zum Ausdruck, daß die Westmächte ihr Präsenzrecht in Berlin aufgrund der Verletzung des Potsdamer Abkommens verloren hätten. Nach Ablauf von sechs Monaten würden die sowjetischen Behörden alle Aufgaben, die sie für die drei Westmächte wahrgenommen hätten, an die DDR abgeben, und Berlin würde zu einer entmilitarisierten, freien Stadt.

Eine grundlegende Tatsache der westlichen Position in Berlin war, daß die Stadt militärisch nicht zu verteidigen war. Die alliierten Streitkräfte wären in der Lage gewesen, sich für ein paar Tage tapfer zu verteidigen. Dank ihrer übermächtigen konventionellen militärischen Überlegenheit in der DDR hätten die Sowjets jedoch unvermeidlich gesiegt und die ganze Stadt eingenommen. In einem solchen Fall konnte nur die amerikanische Drohung, Nuklearwaffen einzusetzen, als wahre Abschreckung dienen - ein klassisches Beispiel für das grundlegende Paradoxon der nuklearen Abschreckung: die Möglichkeit des Einsatzes nuklearer Waffen muß glaubwürdig sein, die schrecklichen Konsequenzen für alle Beteiligten machen den Einsatz jedoch unglaubwürdig. Aufgrund der zwingenden Logik der gegenseitigen und sicheren Zerstörung (Mutual and Assured Destruction - MAD) - obwohl zu diesem Zeitpunkt unter diesem Namen noch keine offizielle Doktrin - wurde die Diplomatie ein wesentlicher Bestandteil im Umgang mit der Berlinkrise. Auf beiden Seiten wurden die normalen (und manchmal auch die nicht so normalen) Instrumente der Diplomatie mit voller Kraft eingesetzt. Das Ziel der Westmächte war es im wesentlichen, die Sowjets davon abzuhalten, das durchzuführen, was sie angedroht hatten - den Status und damit die Freiheit West-Berlins zu zerstören.

Dies bedeutete, daß die alliierte Diplomatie sich im wesentlichen darauf beschränkte, Zeit zu gewinnen, und darauf abzielte, die sowjetische Führung davon zu überzeugen, daß eine eindeutige, einseitige Aktion gegen West-Berlin ein zu großes Risiko beinhaltete und deshalb nicht durchgeführt werden sollte. So kam es, daß die Sowjets ihre verschiedenen Ultimaten stellten und häufig, wenn auch mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, ihre Drohungen mit spezifischen Aktionen abschwächten.

Nach der sowjetischen Initiative vom November 1958 führte Ietztendlich intensive westliche Diplomatie zur Verwässerung des sechsmonatigen Ultimatums und zum Genfer Treffen der amerikanischen, sowjetischen, britischen und französischen Außenminister im Mai 1959. Nach drei aufreibenden Monaten endeten die Genfer Gespräche auf Ministerebene, und Chruschtschow besuchte im September die Vereinigten Staaten. Das Resultat seiner Gespräche mit Präsident Eisenhower war eine Übereinkunft, daß die Verhandlungen über Berlin ohne zeitliche Beschränkung wieder aufgenommen, jedoch nicht endlos fortgeführt werden sollten.

Der Ietzte Berlin - Zwischenfall der Eisenhower - Präsidentschaft war das fehlgeschlagene Pariser Gipfeltreffen im Mail 1960. Die üblichen weitreichenden Vorbereitungen hatten auf der Seite der Alliierten (und wahrscheinlich auch auf sowjetischer Seite) stattgefunden, aber Eisenhowers öffentliches Eingeständnis der Verantwortlichkeit für das amerikanische U-2 Aufklärungsflugzeug, das über der Sowjetunion abgeschossen worden war, gab Chruschtschow die Möglichkeit, das Treffen abzubrechen, bevor es eigentlich begonnen hatte. In mit vielen Schmähungen gespickten, wütenden Reden und Pressekonferenzen betonte er, daß der status quo in Berlin bis zu einem Treffen der Regierungschefs, das er wünschte und welches in sechs oder acht Monaten stattfinden könnte, bestehen bleiben müsse.

Es gab viele Spekulationen darüber, was Chruschtschows Gründe für den Beginn und die Beibehaltung der Berlinkrise waren, aber ich fürchte, daß wir immer noch weit entfernt sind von einem klaren und eindeutigen Bild der sowjetischen Beweggründe. lch selbst neige dazu zu glauben, daß mehrere Theorien, die von verschiedenen Experten zur Erklärung des sowjetischen Verhaltens angeführt wurden, gleichzeitig griffen. Alles wird wahrscheinlich eine Rolle gespielt haben: die magnetische Anziehungskraft West-Berlins und der destabilisierende politische und wirtschaftliche Einfluß der Stadt auf die DDR (ein Dorn im Auge Chruschtschows); der Wunsch, die Stationierung von Nuklearwaffen in der Bundesrepublik und die Möglichkeit, daß die Deutschen diese Waffen einmal besitzen könnten, zu verhindern; eine ernsthafte Unterschätzung der symbolischen Bedeutung eines freien Berlins und der breiten Sympathie in der Welt für den Mut der Berliner; Druck auf Chruschtschow von seiten der Hardliner im Politbüro wie Frol Kozlov und Mikhail Suslov sowie eine ernsthafte Unterschätzung der westlichen Entschlossenheit im allgemeinen und der Entschlossenheit der USA im besonderen - all dies mag eine wesentliche RoIle gespielt haben.

Da die Bundesrepublik natürlich keine Besatzungsmacht in Berlin war, konnte sie nicht von Anfang an formal an der westlichen Diplomatie gegen die Sowjets teilhaben. Führende westdeutsche Vertreter nahmen jedoch an den weitreichenden Vorbereitungen für das dreimonatige Treffen der Außenminister in Genf im Sommer 1959 teil. Mit Fortdauer der Krise wurde jedoch immer deutlicher, daß die deutsche Beteiligung an der Diplomatie der drei Westmächte und der Notfallplanung unabdingbar war, da Deutschland sich nicht an den Gesprächen mit den Sowjets beteiligen konnte. Die Arbeitsgruppentreffen der vier Mächte in Paris, London, Washington und Genf, die Bonner Gruppe und die Gruppe der Washingtoner Botschafter fanden mit deutscher Beteiligung statt.

Chruschtschow gab der neuen Regierung unter Kennedy nicht viel Zeit zur Eingewöhnung und begann, seine Drohungen gegen die westliche Position in Berlin in fast standardisierter, quasi ultimativer Form zu wiederholen. Präsident Kennedy nahm Chruschtschows Einladung zu einem Treffen in Wien am 3./4.Juni 1961 an - ein Gipfeltreffen, das mit einer harten verbalen Auseinandersetzung über Berlin endete. Nach einem Treffen in Paris einigten sich die Außenminister der vier westlichen Staaten, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, auf eine stillschweigende Annahme der Formel, daß Außenminister Dean Rusk klärende Gespräche mit den Sowjets führen solle, um festzustellen, ob es eine Basis für Verhandlungen gäbe. Diese Gespräche, in erster Linie von Rusk und dem sowjetischen Außenminster Andrej Gromyko geführt, zogen sich über den größten Teil des Jahres hin, endeten aber in einer Pattsituation. Sie gaben den Sowjets jedoch einen weiteren Vorwand, von neuen Ultimaten abzusehen.

Der Bau der Berliner Mauer begann am 13. August 1961. Dies reflektierte die ostdeutsche und letztendlich sowjetische Unfähigkeit, den massiven Flüchtlingsstrom aus der DDR weiterhin zu tolerieren. Obwohl dies technisch gesehen eine Verletzung des Viermächtestatus der Stadt darstellte, Iießen die Definition unserer lebenswichtigen lnteressen in Berlin sowie unsere militärische Position in der Stadt ein direktes militärisches Eingreifen nicht zu. Die Mauer war ein Monstrum, ein schreckliches Mahnmal kommunistischer Repression, aber sie schien etwas vom Druck im Osten zu nehmen, eine schnelle Änderung des Berlinstatus herbeiführen zu müssen. Während ihrer etwa 28-jahrigen Existenz wurde die Mauer - auf fast ironische Art - zu einer Hauptattraktion für die Besucher West-Berlins, deren bloßer Anblick ihnen die Unzufriedenheit eines großen Teils der ostdeutschen Bevölkerung deutlich vor Augen führte. Der durch den Mauerbau hervorgerufene Schock für die Moral der Westberliner Bevölkerung erforderte eine Reihe improvisierter Aktionen, wie z.B. den Besuch von Vizepräsident Lyndon B. Johnson in der Stadt, Erhöhung der britischen und amerikanischen Truppenstärke und die Entsendung von General Lucius Clay nach Berlin als persönlichen Vertreter des Präsidenten (er blieb dort bis zum Ende des Jahres).

Während all dieser Vorgänge erlebten wir eine Reihe von Behinderungen durch die Sowjets, wie jene, die zum Aufmarsch der Panzer im späten Oktober 1961 führten. Anfang 1962 gab es Versuche, die drei festgelegten Luftkorridore der Alliierten von der Bundesrepublik nach West-Berlin zu blockieren sowie verschiedene andere lnitiativen, die darauf abzielten, die westliche Position in Berlin unbequem zu gestalten und, wenn an ihr festgehalten werden sollte, diese unmöglich zu machen.

Im Sommer 1962 beschäftigte sich Chruschtschow dann offensichtlich mit anderen Dingen, da die Sowjets mit dem Plan fortfuhren, Mittelstreckenraketen mit Nuklearsprengköpfen in Kuba zu stationieren. Es bleibt unklar, inwieweit diese Aktion mit der sowjetischen Frustration über die Tatsache, daß in Berlin keine Fortschritte erzielt werden konnten, verbunden war. Ganz sicher sahen zur damaligen Zeit die meisten amerikanischen Politiker einen solchen Zusammenhang und waren ernsthaft besorgt über mögliche Vergeltungsakte der Sowjets gegen Berlin, wenn wir gegen ihre Stationierungen auf Kuba einschreiten sollten.

Obwohl viele darin übereinstimmten, daß die Berlinkrise im wesentlichen durch die Nachwirkungen der Aufgabe der sowjetischen Pläne in Kuba beendet war, dauerten die Störungen des alliierten Zugangs nach Berlin tatsächlich noch bis Anfang September 1963. Anfang 1963 hatte Chruschtschow in einer erneuten Rede seinen Standpunkt von der Notwendigkeit eines Friedensvertrages mit der DDR wiederholt, eine Frist jedoch nicht erwähnt.

Wie auch immer der präzise chronologische Ablauf ausgesehen haben mag, West-Berlin überstand diese Zeit der Herausforderungen, um den neuen Problemen der turbulenten sechziger Jahre zusammen mit anderen großen westlichen Städten entgegenzusehen. Die generelle Sicherheit der Stadt würde niemals mehr in der Art und Weise bedroht werden wie zu Zeiten dieser stürmischen Krisenjahre.

Botschafter Martin Hillenbrand ist emeritierter Dean Rusk Professor an der Universität von Georgia. Er machte eine glänzende Karriere während seiner über 30 Jahre im diplomatischen Dienst und kam mehrere Male nach Deutschland. 1972-76 war er amerikanischer Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland. Sein letztes Buch heißt Fragments of Our Time (University of Georgia Press, 1999).


Aus: A Vision Fulfilled. 50 Jahre Amerikaner am Rhein. United States Embassy Bonn, 1949 - 1999. Edited by Christine Elder and Elizabeth G. Sammis. Published by United States Embassy Bonn.
© Department of State, 1999.

 
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Aktualisiert: August 2001