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"... die Judikative ist der Schutzmechanismus der Verfassung für unsere Freiheit und unser Eigentum."
— Charles Evans Hughes, Präsident des Obersten Gerichtshofs, 1907 in einer Rede in Elmira (New York)
Die dritte Gewalt im Staat, die Judikative, besteht aus einem System von über das Land verteilten Gerichten. Der oberste Gerichtshof ist der Supreme Court der Vereinigten Staaten.
In den Bundesstaaten gab es bereits ein System von Gerichten, bevor die Verfassung entworfen wurde. Unter den Delegierten der verfassungsgebenden Versammlung gab es erhebliche Kontroversen, ob ein System von Bundesgerichten erforderlich sei und ob es die Gerichte in den Bundesstaaten ersetzen sollte. Wie auch bei anderen Themen fanden die Delegierten einen Kompromiss: Die Gerichte der Bundesstaaten behielten ihren Zuständigkeitsbereich und die Verfassung schuf Bundesgerichte mit begrenzten Befugnissen. Artikel III der Verfassung legt die Grundlage für das System der Bundesgerichte: "Die richterliche Gewalt der Vereinigten Staaten soll einem Obersten Gerichtshof und solchen untergeordneten Gerichten übertragen sein, wie sie der Kongress von Zeit zu Zeit anordnen und errichten wird."
DAS SYSTEM DER BUNDESGERICHTE
Anhand dieser Anleitung teilte der erste Kongress das Land in Bezirke auf und setzte Bundesgerichte für jeden Bezirk ein. Aus diesen Anfängen entwickelte sich die heutige Struktur: der Oberste Bundesgerichtshof, 13 Berufungsgerichte, 94 Bezirksgerichte und zwei Gerichte mit besonderer Zuständigkeit. Dem Kongress obliegt es noch heute, Bundesgerichte einzusetzen und abzuschaffen sowie die Zahl der Richter an den Bundesgerichten zu bestimmen. Er kann allerdings nicht den Obersten Bundesgerichtshof abschaffen.
Die richterliche Gewalt erstreckt sich auf alle Fälle im Geltungsbereich der Verfassung, der vom Kongress beschlossenen Gesetze oder der Verträge der Vereinigten Staaten; auf alle Fälle, die Botschafter, Minister oder Konsuln anderer Länder in den Vereinigten Staaten betreffen, auf Streitigkeiten, bei denen die Vereinigten Staaten als Partei auftreten, auf Streitigkeiten zwischen Bundesstaaten (oder ihren Bürgern) und fremden Ländern (oder deren Staatsangehörigen) sowie auf Konkursfälle. Mit dem 11. Verfassungszusatz wurde verfügt, dass die Bundesgerichte nicht mehr für Fälle zuständig sind, in denen ein Bürger eines Bundesstaates Kläger und die Regierung eines anderen Bundesstaates Beklagter ist. Sie sind allerdings weiterhin für Fälle zuständig, in denen die Regierung eines Bundesstaates Kläger und ein Bürger eines anderen Bundesstaates Beklagter ist.
Die Kompetenzen der Bundesgerichte erstrecken sich sowohl auf Zivilklagen auf Schadensersatz und andere Formen der Entschädigung als auch auf Strafsachen gemäß der Bundesgesetze. Artikel III führte zu einem vielschichtigen Beziehungsgeflecht zwischen den Gerichten der Bundesstaaten und den Gerichten des Bundes. Normalerweise werden Verfahren gemäß der Gesetze der Bundesstaaten nicht an einem Bundesgericht verhandelt. Einige Fällen, die unter die Zuständigkeit der Bundesgerichte fallen, können allerdings auch vor den Gerichten der Bundesstaaten verhandelt und entschieden werden. Auf beiden Ebenen gilt also in einigen Bereichen die ausschließliche und in anderen die konkurrierende Zuständigkeit der Gerichte.
Die Verfassung schützt die richterliche Unabhängigkeit, indem sie festlegt, dass Bundesrichter ihr Amt ausüben sollen, solange ihre "Amtsführung einwandfrei ist" – praktisch bedeutet dies, bis sie sterben, in Pension gehen oder zurücktreten. Allerdings kann ein Richter, der im Amt eine Straftat verübt, ebenso wie der Präsident oder andere Bundesbeamte durch Klage seines Amtes enthoben werden. Die Richter in den Vereinigten Staaten werden vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt. Der Kongress legt auch die Besoldung der Richter fest.
DAS OBERSTE BUNDESGERICHT (SUPREME COURT)
Der Supreme Court ist das höchste Gericht der Vereinigten Staaten und das einzige ausdrücklich durch die Verfassung eingesetzte. Gegen eine Entscheidung des Obersten Bundesgerichts können bei keinem anderen Gericht Rechtsmittel eingelegt werden. Der Kongress hat die Befugnis, die Anzahl der Richter am Obersten Bundesgericht zu bestimmen und - mit gewissen Einschränkungen – zu entscheiden, welche Art von Fällen dort verhandelt werden, allerdings darf er die dem Supreme Court von der Verfassung selbst verliehenen Kompetenzen nicht verändern.
Die Verfassung äußert sich nicht zu den für das Richteramt erforderlichen Qualifikationen. Es ist nicht vorgeschrieben, dass Richter Anwälte sein müssen, aber tatsächlich sind alle Richter, auch am Obersten Bundesgericht, Mitglieder der Anwaltsvereinigung.
Seit der Gründung des Obersten Bundesgerichts vor 200 Jahren gab es etwas über 100 Richter. Der ursprüngliche Gerichtshof hatte einen Präsidenten und fünf Bundesrichter. In den folgenden 80 Jahren variierte die Zahl der Richter bis sie 1869 auf einen Präsidenten und acht Bundesrichter festgelegt wurde. Der Präsident ist der Vorsitzende des Gerichtshofs, aber in entscheidenden Fällen hat er ebenso wie die Bundesrichter nur eine Stimme.
Der Supreme Court hat in zwei Fällen die erstinstanzliche Zuständigkeit: in Fällen, die ausländische Würdenträger betreffen und in Fällen, in welchen ein Bundesstaat Partei ist. In allen anderen Fällen ist der Gerichtshof Rechtsmittelgericht.
Üblicherweise werden nur 150 der mehreren tausend am Supreme Court eingereichten Fälle dort verhandelt. Bei den meisten Fällen geht es um die Auslegung des Gesetzes oder die Absicht des Kongresses bei der Verabschiedung eines Gesetzes. Ein maßgeblicher Teil der Arbeit des Obersten Bundesgerichts besteht jedoch darin festzustellen, ob ein Gesetz oder eine Maßnahme der Regierung verfassungskonform ist. Diese Funktion der Normenkontrolle wird in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt. Es ist vielmehr eine aus der Auslegung der Verfassung durch das Gericht entstandene Doktrin, die in dem bahnbrechenden Fall "Marbury gegen Madison" 1803 mit Nachdruck erklärt wurde. In seiner Entscheidung in diesem Fall legte der Supreme Court dar, dass "ein Gesetz, das gegen die Verfassung verstößt, kein Gesetz ist" und führte weiter aus, dass "es ausdrücklich Aufgabe und Pflicht der Gerichte ist zu sagen, was Recht ist". Die Doktrin erstreckt sich mittlerweile auch auf die Maßnahmen der Regierungen der Bundesstaaten und Kommunen.
Die Entscheidungen des Gerichts müssen nicht einstimmig getroffen werden, eine einfache Mehrheit genügt, sofern mindestens sechs Richter – das gesetzliche Quorum – an der Abstimmung teilnehmen. Bei unterschiedlichen Meinungen veröffentlicht der Gerichtshof meist eine Mehrheitsmeinung und eine Minderheitenmeinung, auch abweichendes Votum genannt, die beide als Grundlage für zukünftige Entscheidungen des Gerichtshofs dienen können. Oft schreiben Richter verschiedene abweichende Voten, wenn sie mit der Entscheidung zwar übereinstimmen, aber aus anderen Gründen als den von der Mehrheit angeführten.
BERUFUNGSGERICHTE (COURTS OF APPEALS) UND BEZIRKSGERICHTE (DISTRICT COURTS)
Die zweithöchste Ebene der Bundesjustiz besteht aus den Berufungsgerichten, die 1891 geschaffen wurden, um die Entscheidung von Fällen zu erleichtern und die Arbeitslast des Supreme Court zu verringern. Der Kongress hat 12 Berufungsgerichte für die regionalen Gerichtsbezirke und das Bundesberufungsgericht für den Gerichtsbezirk des Bundes geschaffen. Die Zahl der an diesen Gerichten tätigen Richter reicht von 6 bis 28, aber in den meisten Gerichtsbezirken sind es zwischen 10 und 15 Richter.
Die Berufungsgerichte überprüfen die Entscheidungen der Bezirksgerichte (Gerichte mit Bundesgerichtsbarkeit) in ihrem Zuständigkeitsbereich. Sie haben außerdem das Recht, Verwaltungsakte der unabhängigen Regulierungsbehörden in Fällen zu überprüfen, in denen die internen Überprüfungsmechanismen der Behörden ausgeschöpft wurden und erhebliche Meinungsverschiedenheiten über rechtliche Aspekte fortbestehen. Das Bundesberufungsgericht für den Gerichtsbezirk des Bundes ist zudem landesweit zuständig für die Anhörung von Sonderfällen, beispielsweise Patentrechtsfälle sowie für Fälle, die von den Gerichten mit besonderer Zuständigkeit wie dem Gericht für Außenhandel und dem Gericht für Entschädigungsansprüche gegen den Bund verhandelt werden.
Auf der Ebene unter den Berufungsgerichte gibt es die Bezirksgerichte. Die 50 Staaten und die amerikanischen Hoheitsgebiete sind in 94 Bezirke unterteilt, so dass die Gerichte für alle Verfahrensbeteiligten einfach erreichbar sind. Jedes Bezirksgericht hat mindestens zwei Richter, viele haben einige Richter und die bevölkerungsreichsten Bezirke haben mehr als zwei Dutzend. Abhängig von der Arbeitsbelastung kann ein Richter eines Bezirks vorübergehend auch in einem anderen Bezirk aushelfen. Der Kongress bestimmt die Grenzen der Bezirke nach Bevölkerung, Größe und Arbeitsanfall. Einige der kleineren Staaten entsprechen einem Bezirk, während die größeren Staaten wie New York, Kalifornien und Texas aus jeweils vier Bezirken bestehen.
Mit Ausnahme des District of Columbia müssen Richter Einwohner des Bezirks sein, in dem sie dauerhaft als Richter tätig sind. Bezirksgerichte halten ihre Sitzungen in regelmäßigen Abständen in verschiedenen Städten des Bezirks ab.
Die meisten bei diesen Gerichten anhängigen Fälle und Kontroversen betreffen Verstöße gegen Bundesrecht wie den Missbrauch der Postdienste, Diebstahl von Bundeseigentum und Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz, das Bankenrecht oder die Gesetze gegen Geld- und Urkundenfälschung. Es sind die einzigen Bundesgerichte, an denen Anklagejurys die eines Verbrechens Beschuldigten anklagen und Geschworene die Fälle entscheiden.
Jeder Gerichtsbezirk hat außerdem ein Konkursgericht, da der Kongress bestimmt hat, dass Konkursangelegenheiten von Bundesgerichten behandelt werden sollten und nicht von den Gerichten der Bundestaaten. Im Rahmen des Konkursverfahrens können Einzelpersonen oder Unternehmen, die ihre Gläubiger nicht mehr bezahlen können, entweder eine vom Gericht überwachte Liquidierung ihrer Vermögenswerte beantragen oder ihre finanziellen Angelegenheiten neu regeln und einen Plan zur Tilgung ihrer Schulden ausarbeiten.
SONDERGERICHTE
Zusätzlich zu den Bundesgerichten mit allgemeiner Gerichtsbarkeit war es von Zeit zu Zeit erforderlich, Gerichte für besondere Zwecke einzurichten. Diese Gerichte werden "legislative" Gerichte genannt, weil sie durch den Kongress eingesetzt wurden. Die Richter an diesen Gerichten werden wie ihre Kollegen an anderen Bundesgerichten vom Präsidenten mit Zustimmung des Senats auf Lebenszeit ernannt.
Derzeit gibt es zwei Sondergerichte mit nationaler Zuständigkeit für bestimmte Arten von Fällen. Das Gericht für Außenhandel behandelt Fälle im Zusammenhang mit internationalen Zoll- und Handelsfragen. Das Gericht für Entschädigungsansprüche gegen den Bund ist für alle Ansprüche auf Sachentschädigung gegen die Vereinigten Staaten, Streitigkeiten über Bundesverträge, illegale Inbesitznahme von Privateigentum durch die Bundesregierung und eine Vielzahl anderer Ansprüche gegen die Vereinigten Staaten zuständig.
Originaltext: The Judicial Branch: Interpreting the Constitution
Originaltext: "The Judicial Branch: Interpreting the Constitution" aus der Broschüre "Outline of the U.S. Government, die vom Büro für internationale Informationsprogramme des US-Außenministeriums herausgegeben wurde. (erschienen im Amerika Dienst, 28. Juni 2005)
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