Gemeinsam gegen den Terror

Es hätte genauso Paris oder Frankfurt, London oder Berlin treffen können

   



Es hätte genauso Paris oder Frankfurt, London oder Berlin treffen können

Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz
8. November 2001

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Am 19. September, wenige Tage nach den Terroranschlägen von New York und Washington, haben wir dem amerikanischen Volk hier im Deutschen Bundestag mit außergewöhnlich großer Mehrheit unsere uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus zugesagt. In dieser und in der nächsten Woche steht für Deutschland die Klärung der Fragen an, ob den Worten von der uneingeschränkten Solidarität auch Taten folgen, ob wir bereit sind, Risiken und Gefahren bei der Bekämpfung des internationalen Terrors mitzutragen. Wir wissen: Eine so weit reichende Entscheidung ist von bisher noch nie gefordert worden.

Wir sind dabei, tiefgreifende Erfahrungen zu verarbeiten und bisherige Haltungen zu überdenken und zu verändern. Dies betrifft die Innenpolitik, dies betrifft aber auch die Außenpolitik unseres Landes. Auch für uns hat der 11. September mit seinen Folgen eine geschichtliche Dimension, mehr vielleicht als für andere europäische Länder.

Die Bilder des zusammenstürzenden World Trade Center haben überall in der Welt einen Schock ausgelöst. Als sich herausstellte, dass einige der Terroristen auch in unserem Land gelebt haben, dass sie in wesentlichen Teilen von Deutschland aus die Anschläge vorbereitet haben, spätestens in diesem Augenblick war uns klar, dass auch unsere freie, tolerante, weltoffene Gesellschaft sehr angreifbar und verletzlich ist.

Wir haben wiederholt festgestellt - Herr Bundeskanzler, Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung erneut und richtigerweise getan -, dass die Terroranschläge nicht nur gegen die USA gerichtet waren. Wir alle - ich denke, das gilt auch für die meisten Menschen in Deutschland - sind uns bewusst geworden: Die Anschläge hätten auch Paris, Frankfurt, London oder Berlin treffen können. Diese Erkenntnis verbindet uns mit Amerika und in der NATO. Diese Erkenntnis ist Grundlage der internationalen Allianz gegen den Terrorismus.

Der Wille zur Verteidigung der Freiheit ist die Grundlage der von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu Beginn zitierten Resolution des UN-Sicherheitsrates. Die erstmalige Feststellung des Bündnisfalles in der NATO uns das Recht zur Selbstverteidigung nach der Charta der Vereinigten Nationen sind die unbezweifelbare völkerrechtliche Grundlage für den seit dem 7. Oktober auch mit militärischen Mitteln geführten Krieg gegen den Terrorismus.

Wir dürfen heute von dieser Stelle, von Deutschland aus, keinen Zweifel daran lassen, dass auch wir bereit sind, einen militärischen Beitrag zu leisten, um diesen Kampf erfolgreich zu bestehen.

Neu für uns ist, dass ein solcher militärischer Einsatz fernab von Deutschland notwendig sein soll. Wir müssen uns klar darüber sein, dass die geographische Entfernung in der Welt des 21. Jahrhunderts keine Bedeutung mehr hat. Die Globalisierung bringt uns nicht nur große wirtschaftliche Vorteile, sie bedeutet auch globale Verantwortung in der Gemeinschaft zivilisierter Völker.

Es gibt - das sage ich all denjenigen, die beabsichtigen, den Antrag der Bundesregierung abzulehnen - nur scheinbar die Alternativen, sich herauszuhalten und stattdessen die anderen, die sich schon entschieden haben, den Weg weiter gehen zu lassen. Mit klarem Verstand und Überzeugung müssen wir sagen, dass ein deutscher Sonderweg, ein Sich-Heraushalten, in unserer Welt eine Illusion ist. Deutschland trägt Verantwortung wie andere Staaten dieser Welt auch.

Ich möchte deshalb für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zunächst feststellen: Wir sind der festen Überzeugung, das es richtig ist, den Amerikanern und allen anderen Nationen der Anti-Terror-Allianz auch mit militärischen Mitteln im Kampf gegen den Terrorismus beizustehen. Wir werden uns auch in der Opposition unserer Verantwortung stellen.

Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrem Vorhaben, Einheiten der Bundeswehr zu entenden, um mitzuhelfen, die terroristischen Strukturen zu zerschlagen. Wir tun dies - auch hier sind wir uns einig, Herr Bundeskanzler -, weil wir den Vereinigten Staaten von Amerika die Freiheit und ganz wesentlich auch die Einheit unseres Landes verdanken.

Aber damit kein Zweifel entsteht, sage ich: Dank an Amerika allein ist es nicht, warum wir handeln. Genauso wichtig ist, dass die deutsche Beteiligung an einm militärischen Einsatz gegen den Terrorismus in unserem eigenen nationalen Interesse liegt.

Herr Bundeskanzler, ich will in diesem Zusammenhang die Irritationen ansprechen, die gestern entstanden sind und die ich durch Ihre Regierungserklärung sowie durch die darin enthaltene Wortwahl im Vergleich zu den Erklärungen, die von der amerikanischen Administration abgegeben worden sind, für nicht ausgeräumt halte. Ich möchte angesichts dieser Irritationen betonen, dass wir nur hoffen können, dass Sie nach Konsultationen mit der amerikanischen Regierung nicht nur auf deren Anforderung reagiert haben, sondern selbst die Initiative ergriffen haben. Denn nur dann ist die Begründung, im Interesse des eigenen Landes zu handeln, auch wirklich glaubhaft.

Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion brauchen Sie sich, Herr Bundeskanzler, jedenfalls nicht hinter einer amerikanischen Anforderungen zu verstecken. Sie können sagen wie es wirklich ist.

Zu unserem eigenen Interesse zählt auch, dass wir ernsthaft und gewissenhaft abwägen, ob wir es verantworten können, die Soldaten der Bundeswehr in diesen Einsatz zu schicken, in den gefährlichsten Einsatz - das ist ohne Zweifel der Fall, wie Sie selbst gesagt haben -, den die Bundeswehr je zu bestehen hat.

Ich kann die Unruhe bei Ihnen verstehen. Aber diese Probleme, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, müssen Sie in den nächsten Tagen unter sich klären.

Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihrer Regierung und insbesondere vom Verteidigungsminister, dass nicht nur der konkrete Einsatz beschlossen wird, sondern dass zuvor alles getan wird, um unsere Soldaten optimal auf diesen Einsatz vorzubereiten und sie im Einsatz zu schützen.

Wir fordern Sie und Ihre Regierung seit nunmehr drei Jahren aus leider immer dringlicher werdenden Anlass auf, mehr für die Bundeswehr zu tun. Sie haben die Bundeswehr hinsichtlich der Ausrüstung in den letzen drei Jahren so stark vernachlässigt, dass ihre Einsatz- und Bündnisfähigkeit - das sind nicht meine Worte, sondern die des Generalinspekteurs der Bundeswehr - nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet ist. Wenn Sie Soldaten jetzt in einen Einsatz schicken, der schwieriger und gefährlicher ist als alle Einsätze, die in den vergangenen zehn Jahren beschlossen worden sind, dann erwarten diese Soldaten und ihre Familien von Ihnen, Herr Bundeskanzler, dass Sie in der Verantwortung Ihres Amtes alles, aber auch wirklich alles tun, um Soldaten einen optimalen Schutz zu gewährleisten.

Diese Verantwortung tragen Sie, Herr Bundeskanzler, auch nach einem zustimmenden Parlamentsbeschluss. Diese Verantwortung nimmt Ihnen das Parlament nicht ab.

Die Lage in und um Afghanistan ist sehr viel unübersichtlicher und sehr viel schwieriger als bei allen Einsätzen zuvor. Es ist deswegen aus unserer Sicht völlig selbstverständlich, dass der Deutsche Bundestag nicht an die Stelle der politischen und militärischen Führung der eingesetzten Streitkräfte tritt. Wir können Einzelheiten der tatsächlichen eingesetzten Soldaten, der Einsatzzeitpunkte, der Einsatzorte und der Einsatzziele nicht festlegen. Dies kann auch die Bundesregierung heute noch nicht. Zum Teil dürfen die Einsätze aus Gründen des Schutzes der Soldaten auch überhaupt nicht oder erst nach vollständigem Abschluss des Einsatzes bekannt werden.

Aus diesen Gründen enthält der Beschluss des Bundeskabinetts vom gestrigen Tag richtigerweise einen großen Handlungsspielraum für die Bundesregierung und für den Einsatz deutscher Soldaten. Dieser notwendige Handlungsspielraum, Herr Bundeskanzler, darf aber Sinn und Zweck des von unserer Verfassung gebotenen Parlamentsvorbehalts, bei sich möglicherweise verändernden Umständen nicht in Frage stellen.

Deshalb sagen wir: Die Größe des Einsatzes, die territoriale Ausdehnung des Einsatzgebietes und die Dimension der Aufgabe, die es jetzt zu verantworten gilt, erfordern eine angemessene Möglichkeit der Überprüfung unserer Zustimmung, die die Bundesregierung in der nächsten Woche erhalten soll. Diese Überprüfung muss gegebenenfalls auch vor Ablauf der zwölfmonatigen Frist, die Sie beantragt haben, durch den Bundestag selbst erfolgen können. Für uns gibt es jedenfalls zur Dauer des Mandats Beratungsbedarf in den nächsten Tagen.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal auf die humanitäre Katastrophe in Afghanistan selbst zu sprechen kommen. Das furchtbare Schicksal, das die Menschen in Afghanistan seit einem Jahrzehnt zu ertragen haben, das jetzt in vielen Fernsehbildern wieder gezeigt wird, ist nicht die Folge der militärischen Schläge gegen das Taliban-Regime, sondern es ist das menschenverachtende Taliban-Regime selbst, das die Verantwortung trägt.

Sie haben auf die Dimensionen dieser Katastrophe bereits hingewiesen. In den letzten Jahren sind über 4 Millionen Menschen aus Afghanistan geflohen und über 300.000 Kinder im Land verhungert. Westliche Hilfseinrichtungen werden beim Zugang systematisch behindert; sie werden bedroht und zum Teil aus dem Land gejagt. Bis heute weigern sich die Machthaber im Süden des Landes, Flüchtlingslager des Roten Kreuzes an der pakistanischen Grenze zu ermöglichen. Deswegen will auch ich noch einmal ganz klar sagen: Wir führen keinen Krieg gegen Afghanistan, sondern wir bekämpfen Terroristen und ein unmenschliches, menschenverachtendes Regime, das sie deckt.

In Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, hat der britische Außenminister vollkommen zu Recht die Feststellung getroffen, dass eine Feuerpause das Leiden des afghanischen Volkes nur verlängern würde. Er hat Recht.

Herr Bundeskanzler, ich will es bei dieser Gelegenheit auch sagen: Wir sind nicht bereit, eine Arbeitsteilung dergestalt vorzunehmen, dass Mitglieder Ihrer Regierung öffentlich sagen, es müsse eine Feuerpause eintreten und damit sozusagen wie ein Friedensengel durch das Land rauschen - Sie wissen genau, wen ich meine: die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit - und wir, diejenigen, die Ihre Politik unterstützen, als die Kriegstreiber in diesem Land genannt werden. Diese Arbeitsteilung geht nicht.

Je schneller dieses unmenschliche Regime der Taliban gestürzt wird, desto besser ist es für das afghanische Volk und die gesamte Region.

Meine Damen und Herren, nach Beendigung der militärischen Aktionen muss die internationale Hilfe wieder verstärkt werden. Aber auch dann, Herr Bundeskanzler, müssen Ihren Worten Taten folgen; denn hier geht es um die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik; im Inneren, in der Außenpolitik, aber auch gegenüber den Menschen, die unsere Unterstützung und unsere Hilfe brauchen.

Herzlichen Dank.