Keine Macht dem Terror - Solidarität mit den Vereinigten Staaten
von Amerika
Rede von Bundespräsident Rau
14. September 2001
Nirgendwo wissen die Menschen besser als hier in Berlin, was Amerika
für Freiheit und Demokratie in Deutschland getan hat. Wir könnten
heute Abend nicht hier am Brandenburger Tor stehen ohne den Beistand
Amerikas in langen Jahren und in schwerer Zeit.
Darum sagen wir heute hier von Berlin aus allen Amerikanern: Amerika
steht nicht allein. Die ganze Welt steht in diesen Tagen an der
Seite der großen amerikanischen Nation. Das deutsche Volk
steht an der Seite des amerikanischen. Uns verbindet Freundschaft,
uns verbinden gleiche Werte, uns verbindet die Liebe zur Freiheit.
Hier in Berlin erinnern wir uns an die amerikanische Hilfe nach
dem Kriege, an die Verteidigung der Freiheit Berlins und an den
großen Beitrag Amerikas zur deutschen Einheit. Besonders grüße
ich alle Amerikaner, die bei uns in Berlin und überall in Deutschland
leben oder zu Besuch sind. Sie sind in diesen Tagen mit ihren Gedanken
zu Hause.
Auch wir Deutsche sind mit unseren Gedanken und mit unseren Gefühlen
in Amerika. Wir alle haben noch immer die schrecklichen Bilder vor
Augen. Sie lassen uns nicht los. Wir sind gemeinsam Zeugen mörderischer
Gewalttaten geworden, wie sie die Welt - außerhalb eines Krieges
- noch nie erlebt hat.
Wir denken an Mütter und Väter, die ihre Kinder verloren
haben.
Wir denken an Kinder, die ihre Eltern nie wiedersehen werden.
Wir denken an alle, die Freunde und Arbeitskollegen verloren haben.
Wir denken an das unermessliche Leid, das Hass und Terror über
viele tausend Familien im ganzen Land gebracht haben.
Wir denken an die vielen Menschen, die jetzt noch unter Einsatz
ihres Lebens zu helfen versuchen.
Die Ziele der Mörder lagen in New York und Washington. Getroffen
aber sind alle Menschen, weltweit. Unter den Opfern sind Menschen
aus Asien, Australien und aus Europa, darunter auch viele Deutsche,
Menschen aus Afrika und Amerika. Der Angriff zielte auf die ganze
menschliche Gemeinschaft.
Wir stehen hier vereint in Solidarität. Wir stehen zusammen
gegen Hass und Gewalt.
John F. Kennedy ist gerade in Berlin unvergessen. In seiner ersten
Rede als amerikanischer Präsident hat er die Solidarität
Amerikas mit uns Europäern so beschrieben:
"Allen, die seit langem unsere Verbündeten sind und mit
denen uns kulturelle und geistige Wurzeln verbinden, sichern wir
die Loyalität eines treuen Freundes zu. Alles können wir
erreichen, wenn wir fest zusammenstehen. Nichts erreichen wir, wenn
wir gespalten und zerrissen sind. Auf uns allein gestellt, schreckt
uns die Übermacht der Herausforderung.
"Heute sage ich als deutscher Bundespräsident und heute
sagen wir alle: Auf diese Loyalität eines treuen Freundes kann
auch Amerika bauen.
In diesen Tagen haben viele Menschen Angst. Das verstehe ich. Diese
Angst darf uns nicht lähmen. Die Wut, die viele verspüren,
die Ohnmacht, die so schwer zu ertragen ist, darf uns nicht kopflos
machen.
Die Mörder und ihre Anstifter sind schwer zu finden und noch
schwerer zu bekämpfen. Aber ganz gleich wer sie sind: Sie sind
Mörder, nichts sonst - und deshalb müssen sie bestraft
werden. Sie stehen nicht für ein Volk, nicht für eine
Religion und nicht für eine Kultur. Fanatismus zerstört
jede Kultur. Fundamentalismus ist kein Zeugnis des Glaubens, sondern
der ärgste Feind des Glaubens, den es gibt.
Wir werden und wir dürfen uns von niemandem dazu verleiten
lassen, ganze Religionen oder ganze Völker oder ganze Kulturen
als schuldig zu verdammen. Wer sich aber mit den Mördern gemein
macht - aus welchen Gründen auch immer -, wer ihnen Schutz
und Hilfe gewährt, der ist den Mördern gleich.
Wir werden auf die Herausforderung nicht mit Ohnmacht und Schwäche
reagieren, sondern mit Stärke, Entschlossenheit und Besonnenheit.
Hass darf uns nicht zum Hass verführen. Hass blendet. Nichts
ist ja so schwer zu bauen und nichts ist ja so leicht zu zerstören
wie der Friede.
Wir müssen den Terrorismus bekämpfen und wir werden ihn
besiegen. Dazu brauchen wir einen langen Atem. Wer den Terrorismus
wirklich besiegen will, der muss durch politisches Handeln dafür
sorgen, dass den Propheten der Gewalt der Boden entzogen wird.
Armut und Ausbeutung, Elend und Rechtlosigkeit lassen Menschen
verzweifeln. Die Missachtung religiöser Gefühle und kultureller
Traditionen nimmt Menschen Hoffnung und Würde. Das verführt
manche zu Gewalt und Terror. Das sät den Hass schon in die
Herzen von Kindern.
Alle Menschen haben das Recht auf Anerkennung und auf Würde.
Wer in seinem Leben Anerkennung erfährt und sein Leben liebt,
der wird es nicht wegwerfen wollen. Wer in Würde und Zuversicht
lebt, aus dem wird kaum ein Selbstmordattentäter werden.
Entschlossenes Handeln ist das Gebot der Stunde. Weil wir das wissen
und zeigen, weil wir daran keinen Zweifel lassen, darum sagen wir
auch: Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte
internationale Ordnung. Die Frucht der Gerechtigkeit wird der Friede
sein.
Das ist mühsam, dauert lange und kostet nicht nur Zeit. Aber
eine friedlichere, eine sichere Welt muss uns das wert sein. Für
uns und für die Kinder unserer Welt.
Wir haben apokalyptische Bilder gesehen. Sie müssen uns aufrütteln,
damit der Friede neuen Raum gewinnt. Die Freiheit braucht die starke
Macht des Friedens und zum Frieden gehört die Freiheit.
Wir haben allen Anlass zu Wachsamkeit, aber keinen Grund zur Panik.
Vor allem anderen brauchen wir gut überlegtes Handeln. Unser
gemeinsames Ziel ist Friede und Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit
für alle Menschen, wo immer sie leben.
John F. Kennedy sagte zu seiner Zeit: "Wir wollen nicht der
Macht zum Sieg, sondern dem Recht zu seinem Recht verhelfen".
Wenn die Nationen der Welt vereint zusammenstehen, dann wird der
Terror keine Macht über uns gewinnen.
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