Der 11. September 2001 wird als ein schwarzer Tag für uns alle
in die Geschichte eingehen
Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder
12. September 2001
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der gestrige 11. September 2001 wird als ein schwarzer Tag für
uns alle in die Geschichte eingehen. Noch heute sind wir fassungslos
angesichts eines nie da gewesenen Terroranschlags auf das, was unsere
Welt im Innersten zusammenhält.
Wir wissen noch nicht, wer hinter dieser Kriegserklärung an
die zivilisierte Völkergemeinschaft steht. Wir wissen noch
nicht einmal, wie viel Tausende ganz und gar unschuldige Menschen
den feigen Attentaten zum Opfer gefallen sind. Wir wissen und erfahren
aber: Jetzt geht es darum, unser Mitgefühl, unsere Solidarität
zu zeigen: Solidarität mit der Bevölkerung der Vereinigten
Staaten von Amerika, und zwar Solidarität aller, die für
Frieden und Freiheit einstehen, in Deutschland, in Europa, überall
auf der Welt.
2000 Menschen haben sich gestern Abend zu einer spontanen Beileidskundgebung
und zu einem Gottesdienst im Berliner Dom versammelt. Im Anschluss
an diese Sitzung des Deutschen Bundestages wird ein ökumenischer
Trauergottesdienst in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale stattfinden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände haben dazu aufgerufen, am Donnerstag um
10 Uhr für fünf Minuten in der Arbeit innezuhalten. Die
Bundesregierung wird diesem Aufruf für die Institutionen des
Bundes folgen.
Meine Damen und Herren, ich habe dem amerikanischen Präsidenten
das tief empfundene Beileid des gesamten deutschen Volkes ausgesprochen.
Ich habe ihm auch die uneingeschränkte - ich betone: die uneingeschränkte
- Solidarität Deutschlands zugesichert. Ich bin sicher, unser
aller Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Ihnen
gilt unser Mitgefühl, unsere ganze Anteilnahme.
Ich möchte hier in Anwesenheit des neuen amerikanischen Botschafters
Dan Coats noch einmal ausdrücklich versichern: Die Menschen
in Deutschland stehen in dieser schweren Stunde fest an der Seite
der Vereinigten Staaten von Amerika.
Selbstverständlich bieten wir den Bürgern und Behörden
der Vereinigten Staaten von Amerika jede gewünschte Hilfe an,
natürlich auch bei der Ermittlung und Verfolgung der Urheber
und Drahtzieher dieser niederträchtigen Attentate.
Bei meinem Gespräch mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden
am gestrigen Abend bestand völlige Einmütigkeit darüber,
dass diese außergewöhnliche Situation das Zusammenstehen
aller Demokraten erfordert. Die gestrigen Anschläge in New
York und Washington sind nicht nur ein Angriff auf die Vereinigten
Staaten von Amerika; sie sind eine Kriegserklärung gegen die
gesamte zivilisierte Welt. Diese Art von terroristischer Gewalt,
das wahllose Auslöschen unschuldiger Menschenleben stellt die
Grundregeln unserer Zivilisation infrage. Sie bedroht unmittelbar
die Prinzipien menschlichen Zusammenlebens in Freiheit und Sicherheit,
all das also, was in Generationen aufgebaut wurde. Gemeinsam werden
wir diese Werte - sei es in Amerika, sei es in Europa oder wo auch
immer in der Welt - nicht zerstören lassen.
In Wirklichkeit - das zeigt sich immer mehr - sind wir bereits
eine Welt. Deshalb sind die Anschläge in New York, dem Sitz
der Vereinten Nationen, und in Washington gegen uns alle gerichtet.
Der gestrige terroristische Angriff hat uns noch einmal vor Augen
geführt: Sicherheit ist in unserer Welt nicht teilbar. Sie
ist nur zu erreichen, wenn wir noch enger für unsere Werte
zusammenstehen und bei ihrer Durchsetzung zusammenarbeiten.
Wir müssen nun rasch noch wirksamere Maßnahmen ergreifen,
um dem Terrorismus weltweit den Nährboden zu entziehen. Es
hat zu gelten: Wer Terroristen hilft oder sie schützt, verstößt
gegen alle fundamentalen Werte des Zusammenlebens der Völker.
Ich habe noch gestern Abend mit dem französischen Staatspräsidenten
Chirac und Ministerpräsident Jospin, mit dem britischen Premierminister
Blair und dem russischen Präsidenten Putin gesprochen. Wir
sind uns in der Bewertung einig, dass diese Terrorakte eine Kriegserklärung
an die freie Welt bedeuten.
Die Außenminister der Europäischen Union werden noch
heute zu einer Sondersitzung zusammentreten. Danach wird es notwendig
sein, dass die Europäische Union auf höchster Ebene ihre
Solidarität zum Ausdruck bringt. Ich habe den amtierenden Ratspräsidenten
der Euro päischen Union, den belgischen Ministerpräsidenten
Verhofstadt, gebeten, eine entsprechende Initiative zu ergreifen.
Viele Menschen werden sich fragen: Was bedeuten diese Anschläge
für uns in Deutschland? Ich habe gestern Abend unverzüglich
eine Sitzung des Bundessicherheitsrates einberufen. Wir haben auf
der Grundlage der uns zugänglichen Informationen die Lage eingehend
analysiert. Derzeit liegen keine Hinweise auf eine außerordentliche
Bedrohung der Sicherheit unseres Landes vor. Gleichwohl haben wir
zusätzliche Maßnahmen ergriffen, die zum Schutz der Menschen
in unserem Land erforderlich sind. Das betrifft insbesondere die
Sicherheit des Luft raums und des Flugverkehrs sowie den Schutz
amerikanischer und anderer herausgehobener Einrichtungen.
Darüber hinaus werden wir gemeinsam überlegen müssen,
welche längerfristigen Konsequenzen aus diesen fürchterlichen
Anschlägen zu ziehen sind. Der Bundessicherheitsrat wird heute
Vormittag zu einer erneuten Sitzung zusammenkommen. Es ist selbstverständlich,
dass wir alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, die Vorsitzenden
der politischen Parteien, aber auch die Öffentlichkeit über
die weiteren Entwicklungen informieren werden. Die nächste
Unterrichtung der Partei- und Fraktionsvorsitzenden erfolgt, wie
verabredet, bereits heute Mittag im Bundeskanzleramt.
Ich bin davon überzeugt: Gemeinsam werden wir uns dieser verbrecherischen
Herausforderung gewachsen zeigen. Freiheit und Demokratie, die Werte
des friedlichen Zusammenlebens der Menschen und der Völker,
werden diese Prüfung bestehen.
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