Wie ein US-Diplomat den Angriff im State Department erlebte
von Elisabeth Binder, Der Tagesspiegel,
18. September 2001
Für Richard Schmierer begann der vergangene Dienstag mit einer
Autofahrt ins State Department. Normalerweise hat der Gesandte-Botschaftsrat
für Öffentliche Angelegenheiten seinen Schreibtisch in
Berlin, aber an diesem Tag hatte er dienstlich in Washington zu
tun. Von dem ersten Angriff auf das World Trade Center hörte
er, als er auf den Parkplatz fuhr. Im Außenministerium war
Schmierer zu einer Besprechung verabredet, aber daran war nicht
mehr zu denken. "Alle klebten vor den Fernsehern. Uns war klar,
dass es eine Terroristenattacke war. Wir dachten, sie haben zwei
Flugzeuge, das World Trade Center sei ihr einziges Ziel", erzählt
Schmierer. Um kurz vor 10 Uhr wurde das Außenministerium evakuiert.
"Als das Flugzeug ins Pentagon raste, war uns klar: das hat
eine andere Dimension."
Das Gerücht, zusätzlich sei eine Autobombe explodiert,
erwies sich im Nachhinein als falsch. Das Geräusch sei von
einem Flugzeug gekommen. "Die Sicherheitsleute sind natürlich
gerannt, aber sonst waren alle ganz ruhig, jedenfalls äußerlich."
Viel Zeit, sich über die Ereignisse auszutauschen, blieb nicht.
Nach fünf Minuten wurde bekannt gegeben, dass das Haus an diesem
Tag nicht wieder geöffnet würde. Eine Notbesetzung des
State Department bezog Büros im Foreign Service Institute,
das zehn Meilen außerhalb in Virginia steht.Außenminister
Powell war da noch in Peru; am Tag zuvor hatte er sich von den Botschaftsangehörigen
beim Foreign Service Day verabschiedet.
Richard Schmierer setzte sich ins Auto und fuhr nach Hause. Woran
er gedacht hat? "Vor allem an meine Familie." An die Frau
und die Tochter, die in Virginia unterwegs waren, an die Söhne
in Pennsylvania und die Familienmitglieder, die in New York leben.
Glücklicherweise ist niemandem von ihnen etwas passiert. "Aber
Sie können sich vorstellen, wie froh ich war, als ich meine
Frau und meine Tochter in der Auffahrt sah."
In Newark wartete die Familie auf den Rückflug nach Berlin.
Erst am Samstag gab es eine Chance. "Wir waren fünf Stunden
vor Abflug da." Die Sicherheitskontrollen waren sehr streng.
Zum Hühnchen, das Schmierers Frau im Flughafenrestaurant bestellte,
gab es kein Messer dazu. Im Flugzeug waren die Löffel zwar
noch aus Metall, die Messer aber aus Plastik. Auch die Menschen
hatten sich verändert. Sie waren viel höflicher und rücksichtsvoller
als sonst. "Es ist, als habe dieses Ereignis alle Prioritäten
verändert."
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