Gemeinsam gegen den Terror

John F. Kennedy hat einmal gesagt: "Ich bin ein Berliner."

   



John F. Kennedy hat einmal gesagt: "Ich bin ein Berliner."

FDP-Bundesvorsitzender Guido Westerwelle
19. September 2001

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Sie werden verstehen, dass auch ich diese Rede hier nicht beginnen möchte, ohne an die Tausenden von Toten zu erinnern, die noch immer unter den Trümmern des World Trade Centers und des Pentagons liegen. Sie sind Opfer eines feigen, eines hinterhältigen Terroranschlages. Unsere Gedanken und Gefühle sind bei ihnen, ihren Angehörigen und Freunden.

Als jemand, der sehr viel in den USA unterwegs ist, meine ich - da werden mir viele Kolleginnen und Kollegen zustimmen - es war eine Sternstunde, zu erleben, wie am vergangenen Freitag 200 000 Menschen in Berlin auf die Straße gegangen sind, um Solidarität mit den Amerikanern und mit den Opfern in Amerika zum Ausdruck zu bringen.

Ich denke, dass wir jetzt alle in diesem Hause überparteilich gefragt sind. Deswegen, Herr Bundeskanzler, möchte ich Ihnen auf Ihre Regierungserklärung zuerst antworten: Sie haben hier eine würdige Regierungserklärung abgegeben und ich möchte Ihnen jedenfalls für die Oppositionspartei FDP zusagen und zusichern, dass das, was Sie gesagt haben, was Sie hier als Kurs bestimmt haben, die Zustimmung der Freien Demokraten findet. Jetzt geht es nicht darum, den Parteienstreit fortzusetzen, sondern jetzt geht es darum, dass wir alle unsere Verantwortung wahrnehmen, ob wir auf der Oppositionsseite oder auf der Regierungsseite sitzen. Wir als Freie Demokraten sind dazu bereit. Das ist eine wichtige Herausforderung für das gesamte Bündnis. Deswegen kann man an diesem Tage hier nicht sprechen, ohne auch auf die besondere Situation der Deutschen hinzuweisen. Wir sind heute Morgen vor dem Reichstagsgebäude allesamt an drei Demonstranten vorbeigegangen. Bei uns in Berlin ist es das gute Recht dieser Demonstranten, auch unmittelbar vor dem Reichstag zu demonstrieren.

Aber es sei schon erlaubt, an Folgendes zu erinnern: Diese drei Demonstranten würden nicht demonstrieren, wenn die Vereinigten Staaten nicht die Freiheit und den Frieden in Europa und in Berlin gesichert hätten. Wir alle wären nicht hier. Wir könnten hier nicht sprechen. Deutschland hat den Tyrannen nicht aus eigener Kraft überwunden, sondern mit Hilfe der Amerikaner und ihrer Verbündeten. Das ist weit mehr als nur eine dankbare Floskel. Das ist nach meiner Überzeugung vielmehr ein Ausdruck der persönlichen Verantwortung, die wir jetzt haben. John F. Kennedy hat einmal gesagt: "Ich bin ein Berliner." Er wollte damit die Verantwortung seines Landes, die Freiheit in Berlin zu sichern, zum Ausdruck bringen. Wenn wir jetzt sagen: "Wir stehen fest an der Seite der Vereinigten Staaten", dann ist das Jahrzehnte später unser Beitrag dazu, den Frieden und die Freiheit in der Welt zu sichern. Diese große Verantwortung haben jetzt alle Demokraten. Ich denke, in den letzten Tagen konnte man erkennen, dass unser demokratisches Gemeinwesen dieser Verantwortung weiß Gott gerecht wird.

Ich freue mich übrigens darüber, dass die Ansichten mancher, die in dieser Situation mit den üblichen antiamerikanischen Reflexen reagieren - dies erfolgt selbst am heutigen Tage; bestimmten Kommentaren in süddeutschen Zeitungen habe ich dies heute entnommen, im Augenblick widerlegt werden. Denn die Vereinigten Staaten von Amerika handeln, wie es einer reifen Demokratie entspricht: entschieden, aber auch verantwortungsvoll.

Im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und bei der Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit kann es keinen Parteienstreit geben. Deutschland verdient eine parteiübergreifende Verantwortung. Die FDP ist dazu bereit.

Wir werden mit Sicherheit erleben, dass das Militär, aber auch die inneren Vollzugsbehörden der Polizei im Rahmen der Terrorismusbekämpfung handeln werden. Aber ich finde, wir sollten bei alledem das Politische nicht aus den Augen verlieren: Wir werden den Terrorismus in der Welt nicht in erster Linie mit Militär und Polizei, sondern nur mit politischen Lösungskonzepten bekämpfen können. In dieser Situation ist festzustellen: Die Bevölkerung erwartet von uns zu Recht, dass wir entschieden handeln, um den Terrorismus zu bekämpfen. Aber sie erwartet von uns auch, dass wir so besonnen handeln, dass der Frieden in Europa erhalten bleibt.

Es gibt einen bemerkenswerten Gedanken in dem fabelhaften Buch "Kassandra" von Christa Wolf, der mir in diesen Tagen immer wieder in den Sinn gekommen ist. Sie schreibt dort:

"Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersagen."

Ich persönlich bin zu dem Ergebnis gekommen: Wenn Politiker mehr über Kriegsszenarien als über Friedenslösungen sprechen, dann beginnt ebendieser Vorkrieg. Die Bevölkerung erwartet von uns zu Recht, dass wir uns zunächst darüber unterhalten, wie man einen solchen Prozess hin zum Krieg verhindern kann. Es geht jetzt nicht um eine einseitige Fixierung auf das Militärische. Wir brauchen vielmehr zuallererst politische Lösungskonzepte. Politiker, die sich jetzt in öffentlichen Interviews über Kriegsszenarien äußern, denen sollte man sagen: Friedensszenarien sind jetzt bei uns in der Bevölkerung gefragt.

Gleichwohl ist es notwendig, Entschiedenheit und Härte zu zeigen. Gleichwohl ist es natürlich auch notwendig, über die Rolle der Bundeswehr zu sprechen. Wir können nicht so tun, als gäbe es hier keine Probleme. Meiner Einschätzung nach sollten wir in dieser Debatte zunächst einmal über Prävention und nicht nur über Repression sprechen. Dabei geht es auch um regionale Konfliktlösungsmechanismen. Wenn etwas in diesen Tagen klar geworden ist, dann das, dass es auf dieser einen Welt keine regionalen Konflikte mehr gibt, von denen andere Teile der Welt unbetroffen sein könnten. Jeder regionale Konflikt ist in Wahrheit auch ein weltweiter Konflikt. Jeder ungelöste regionale Konflikt trägt den Keim in sich, auch bei uns Unglück zu säen. Deswegen müssen wir auch und gerade jetzt in diesen Zeiten eine globale politische Verantwortung wahrnehmen, wenn es um die Konfliktlösung im Nahen Osten geht. Wir erneuern hier unseren Vorschlag und appellieren an Sie als Bundeskanzler und an den Außenminister, diesen Vorschlag in der Europäischen Union einzubringen. Es geht darum, dass wir als Lösung eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten anbieten, dass wir sie initiieren, denn man hört viel zu oft, man könne im Nahen sten niemals zum Frieden finden, dort sei alles so verhärtet, das sei nicht mehr zueinander zu führen, das könne nur noch militärisch auseinander geschlagen werden. Dies ist sträflicher, ja geradezu tödlicher Leichtsinn, meine Damen und Herren. So wie es uns in Mitteleuropa im Nachkriegsdeutschland, im Nachkriegseuropa gelungen ist, aus Erbfeinden Freunde zu machen, so ist es auch in anderen Regionen der Welt möglich, Menschen miteinander zu versöhnen, wenn der Wille und die Anstrengung groß genug sind. Das muss erstes Ziel der deutschen Politik sein.

Ich will Ihnen, Herr Bundeskanzler, und der Bundesregierung in dieser Debatte ein paar Bemerkungen aber nicht ersparen. Wir haben die Debatte über den Haushalt unterbrochen, als uns die Nachricht von diesem schrecklichen Terroranschlag im wahrsten Sinne des Wortes getroffen hat. Wir werden diese Debatte über den Haushalt aber fortsetzen. Wir müssen sie auch fortsetzen.

Vorgestern meldete die Deutsche Presse-Agentur eine Erklärung eines Sprechers des Verteidigungsministeriums. Dieser verglich die Situation der Bundeswehr mit einem Kaufhaus, in dem viele leere Regale stehen und mehrere Abteilungen wegen Umbaus geschlossen sind. Dies sagt nicht ein Oppositionspolitiker, sondern ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Herr Bundeskanzler, wenn es Staatsräson ist, dass jetzt auch die Opposition zum Bündnis steht - und wir tun das, dann ist es auch Staatsräson, dafür zu sorgen, dass die Bundeswehr entsprechend anständig ausgestattet wird. Diese Strukturfragen haben wir zu beantworten und ich gehe davon aus, dass Sie, Herr Finanzminister, einen korrigierten Haushalt vorlegen werden.

Ich möchte an das anknüpfen, was Sie, Herr Kollege Struck, gesagt haben. Sie haben gesagt, man dürfe nicht den Eindruck erwecken - Sie haben völlig Recht dabei, dass dann, wenn man nur Milliarden in die Terrorismusbekämpfung stecken würde, die Probleme gewissermaßen gelöst seien. Sonst würde man den Bürgern etwas vormachen. Da haben Sie Recht. Ich sage Ihnen aber auch: Wenn wir diese Milliarden D-Mark nicht in die Terrorismusbekämpfung stecken, lösen wir die Probleme auch nicht und machen den Bürgerinnen und Bürgern auch etwas vor.

Deswegen ist es notwendig, dass wir in der Diskussion über die innere Sicherheit noch auf das Folgende hinweisen: Herr Innenminister, das, was rechtsstaatlich notwendig ist, um Freiheit und Sicherheit in Deutschland zu gewährleisten, werden wir mit Ihnen gemeinsam beschließen. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber ich füge auch hinzu: In meinen Augen beruht das Problem der inneren Sicherheit nicht zuerst auf einem Gesetzesdefizit, sondern auf einem Vollzugsdefizit. Die Ausstattung der Polizeibehörden - übrigens auch der Verfassungsschutzämter - in Deutschland lässt zu wünschen übrig. Dies ist eine finanzielle, eine haushaltspolitische Herausforderung. Die bessere Ausstattung ist notwendig. Ich denke, dass wir dieses Problem lösen werden. Antworten Sie darauf! Richten Sie sich darauf ein!

Ich möchte zum Schluss gerne noch einen Gedanken in diese Debatte einführen. Es ist ein Gedanke, der mir ebenfalls sehr wichtig ist. Alle haben darauf hingewiesen, dass man nicht im Namen von Religion derartige Verbrechen begehen kann. Das ist völlig richtig und korrekt.

Ich möchte es aus meiner Sicht noch einmal sagen: So, wie ich als Christ nicht dafür in Haftung genommen werden möchte, dass in Nordirland kriminelle Fundamentalisten Schulkinder bombardieren und glauben, sie täten das im Namen der Bibel, so ist es auch unzulässig, Andersgläubige in Haftung zu nehmen, weil sich Straftäter auf den Koran berufen. Bei dem einen geht es nicht um die Bibel, bei dem anderen nicht um den Koran. Beides sind Verbrechen. Das möchte ich - gerade als Liberaler, der unverdächtig ist, dass es ihm an Toleranz mangeln würde - zur wehrhaften Demokratie sagen. Ich glaube, das sind wir alle in diesem Augenblick. Oder etwa nicht? Ich meine das übrigens ganz ernst.

Bezogen auf das liberale Verständnis möchte ich Ihnen etwas sagen, was ich gerade in dieser Zeit für ganz besonders wichtig halte: Toleranz ist gut. Toleranz gegenüber Intoleranz ist in meinen Augen aber nicht liberal, sondern dumm.

Darauf muss man in dieser Situation hinweisen, denn darum geht es.

Herr Bundeskanzler, für das, was Sie in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben, haben Sie die Rückendeckung der Freien Demokraten. Wir gehen davon aus, dass Sie uns auch weiter informieren. Zu dem, was Sie uns nicht gesagt haben, können wir uns nicht äußern. Wir haben Verständnis dafür, dass Sie zwar mehr wissen, aber natürlich nicht alles sagen können. Sie sehen ein, dass wir unsere Zustimmung nur Punkt für Punkt zu dem, was Sie in Ihren Erklärungen geäußert haben, geben können. Wenn Sie einen entschiedenen, aber zugleich auch besonnenen Weg gehen, werden Sie die Unterstützung über die Parteigrenzen hinweg erhalten. Das kann ich zumindest für die Freien Demokraten in diesem Hause sagen.