Eine Uebersicht:  Das amerikanische Regierungssytem
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Kapitel 8
REGIERUNG DES VOLKES: DIE ROLLE DES BÜRGERS

Die Erweiterung des Wahlrechts | Direkte Demokratie | Staatsbürgerliche Verantwortung | Virtuelle Communities | Private Interessengruppen | Medien | Politische Parteien

"Es ist die Aufgabe des Bürgers, die Regierung vor Fehltritten zu bewahren."

— Robert H. Jackson, Bundesrichter des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten,
American Communications Association v. Douds, 1950

English

Mit dem Entwurf der amerikanischen Verfassung schufen die Gründungsväter 1787 ein neues Regierungssystem. Der – für die Zeit revolutionäre - dahinter stehende Gedanke scheint zunächst ganz einfach und logisch. Die Befugnis zu regieren geht direkt vom Volk aus, nicht durch Erstgeburtsrecht oder Waffengewalt, sondern durch freie und offene Wahlen der Bürger der Vereinigten Staaten. Das mag als Theorie nett und direkt klingen, aber die Praxis war bei weitem nicht so allumfassend. Die Frage der Wahlberechtigung komplizierte die Dinge von Anfang an: Wer sollte seine Stimme abgeben dürfen und wer nicht?

Die Gründungsväter waren natürlich Männer ihrer Zeit. Für sie war es selbstverständlich, dass nur Personen mit einem wirtschaftlichen Interesse an der Gesellschaft eine Stimme bei der Entscheidung darüber haben sollten, wer diese Gesellschaft regiert. Da die Aufgabe der Regierung der Schutz von Eigentum und persönlicher Freiheit ist, sollten ihres Erachtens die an ihrer Wahl beteiligten etwas von beidem besitzen.

Das bedeutete zu der Zeit, dass nur weiße, protestantische Männer mit Grundbesitz wählen durften. Frauen, Arme, zur Arbeit verpflichtete Bedienstete, Katholiken, Juden, Sklaven aus Afrika oder amerikanische Ureinwohner – sie alle durften nicht wählen. "Frauen wurden wie Sklaven und Bedienstete über ihre Abhängigkeit definiert", erklärt Historiker Michael Schudson. "Die Staatsbürgerschaft erhielt nur, wer Herr über sein eigenes Leben war." Aufgrund dieser Einschränkungen wählten nur ungefähr sechs Prozent der Bevölkerung der brandneuen Vereinigten Staaten 1789 George Washington zum ersten Präsidenten des Landes.

Obwohl diese neuen Amerikaner auf die Tatsache stolz waren, dass sie das Königtum und den Adelstand abgeschafft hatten, ordnete sich das "gewöhnliche Volk" zunächst noch dem "Adel" unter. Mitglieder reicher Familien mit guten Beziehungen wurden deshalb meist ohne viel Widerspruch in politische Ämter gewählt. Diese Situation dauerte jedoch nicht lange an. Das Konzept der Demokratie erwies sich als so mächtig, dass es sich nicht beschränken ließ, und die nicht so Reichen mit nicht so guten Beziehungen begannen zu glauben, dass auch sie die Möglichkeit haben sollten, mitzuentscheiden.

DIE ERWEITERUNG DES WAHLRECHTS

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde die Politik in den Vereinigten Staaten langsam aber sicher immer integrativer. Die alten Gebräuche wurden obsolet, Gruppen, die zuvor ausgeschlossen waren, beteiligten sich am politischen Prozess und das Wahlrecht wurde Stück für Stück mehr und mehr Menschen erteilt. Zunächst wurden Einschränkungen aufgrund von Religion und Eigentum abgeschafft, so dass bis Mitte des Jahrhunderts fast alle erwachsenen, weißen Männer wählen durften.

Dann, nach dem Bürgerkrieg (1861-1865) über die Frage der Sklaverei, veränderten drei Zusätze zur amerikanischen Verfassung Wirkungsbereich und Wesen der amerikanischen Demokratie maßgeblich. Mit dem 1865 ratifizierten 13. Verfassungszusatz wurde die Sklaverei abgeschafft. Der 1868 ratifizierte 14. Zusatz erklärte alle in den Vereinigten Staaten geborenen oder eingebürgerten Personen zu Staatsbürgern des Landes und des Bundesstaats, in dem sie lebten, und legte fest, dass ihr Recht auf Leben, Freiheit, Eigentum und Gleichheit vor dem Gesetz von der Bundesregierung durchgesetzt werden müsse. Der 1870 ratifizierte 15. Verfassungszusatz untersagte der Bundes- und den Landesregierungen die Diskriminierung potenzieller Wähler aufgrund von Rasse, Hautfarbe oder vorherigem Dienstbarkeitsverhältnis.

Das entscheidendende Wort "Geschlecht" wurde nicht erwähnt und das nicht aus Versehen; den Frauen blieb das Wahlrecht daher weiterhin verwehrt. Die Erweiterung des Wahlrechts auf ehemalige Sklaven verlieh der lange vor sich hin dümpelnden Kampagne für das Frauenwahlrecht neuen Schwung. Dieser Kampf wurde schließlich 1920 gewonnen, als der 19. Verfassungszusatz bestimmte, dass das Wahlrecht nicht "aufgrund des Geschlechts" versagt werden könne.

Ironischerweise war damit die Situation umgekehrt worden. Frauen durften nun wählen, aber viele schwarze Amerikaner nicht. Anfang der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts hatten Weiße aus dem Süden Schwarze durch Wahlbestimmungen wie die "Großvaterklausel" (die Lesetests für alle Bürger vorschrieb, deren Vorfahren vor 1868 nicht wählen durften), die Erhebung einer Wahlsteuer und oft genug durch körperliche Einschüchterung systematisch aus der Wahlpolitik entfernt. Diese Entrechtung bestand weit in das 20. Jahrhundert hinein. Die Bürgerrechtsbewegung, die in den fünfziger Jahren begann, führte zum Wahlrechtsgesetz von 1965 (Voting Rights Act), einem Bundesgesetz, das unfaire Wahlverfahren gesetzlich verbot und das Justizministerium zum Aufsichtsorgan über die Wahlen im Süden bestimmte. Der 1964 ratifizierte 24. Verfassungszusatz schaffte die Erhebung einer Steuer als Voraussetzung für die Teilnahme an Wahlen ab, womit eine der wenigen verbleibenden Methoden eliminiert wurde, mit der die Staaten versuchten, die Wahlbeteiligung von Afroamerikanern oder Armen zu verringern.

Zur Erweiterung des Wahlrechts wurde eine letzte Änderung der Verfassung vorgenommen. Die amerikanische Beteiligung am Vietnamkrieg in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre verliehen einem zunächst im Unabhängigkeitskrieg erörterten und bei jedem Krieg seitdem immer wieder aufgenommenen Gedanken neuen Auftrieb, dass Menschen, die alt genug sind, um für ihr Land in den Krieg zu ziehen, auch alt genug sind um zu wählen. Der 1971 ratifizierte, 26. Verfassungszusatz senkte das Wahlrecht von 21 auf 18 Jahre. Jetzt sind fast alle erwachsenen Staatsbürger der Vereinigten Staaten über 18 Jahre, unabhängig davon, ob im Land geboren oder eingebürgert, wahlberechtigt. Gesetzliche Einschränkungen gibt es lediglich für einige ehemalige Straftäter und für Entmündigte.

DIREKTE DEMOKRATIE

Die wichtigste Frage der amerikanischen Wahlpolitik ist dieser Tage nicht, wer wählen darf, sondern wie viele Wahlberechtigte sich tatsächlich die Zeit nehmen und die Mühe machen, zur Wahl zu gehen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Antwort hierauf – bei Präsidentschaftswahlen – etwa die Hälfte. Bei den Wahlen 1876 erreichte die Wahlbeteiligung das historische Hoch von 81,8 Prozent. In den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts belief sie sich im Durchschnitt auf etwa 80 Prozent, aber dann begann der allmähliche Rückgang, und 1924 wurde mit 48,9 Prozent der niedrigste Stand erreicht. Die "New Deal Coalition" der Demokratischen Partei während der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren führte zu einer Wiederbelebung des Wählerinteresses und zu einer durchschnittlichen Wahlbeteiligung von um die 60 Prozent. 1968 begann die Wahlbeteiligung wieder zu sinken, der niedrigste Stand wurde mit 49,1 Prozent bei der Präsidentschaftswahl 1996 erreicht.

Die Tatsache, dass viele Menschen nicht zur Wahl gehen, wird von vielen als Besorgnis erregend empfunden. "Zurzeit gibt es das in Meinungsumfragen und durch Beschwerden mündiger Bürger geäußerte weit verbreitete Gefühl, dass das amerikanische Wahlsystem in Schwierigkeiten ist", erläutert der Politikwissenschaftler A. James Reichley in seinem Buch Elections American Style. "Einige sind der Meinung, dass diese Schwierigkeiten geringfügiger Natur sind und durch moderate Reformen behoben werden können, andere sind der Ansicht, sie reichen tiefer und erfordern weit reichende politische Maßnahmen, womöglich einhergehend mit umfassenden Änderungen der allgemeinen gesellschaftlichen Ordnung. Zu den Beschwerden zählen die enormen Kosten und Dauer der Wahlkämpfe, die Macht der Medien in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung der Kandidaten sowie die ungebührliche Einflussnahme von "Sonderinteressen" auf Nominierungen und allgemeine Wahlen.

Viele Kommentatoren glauben, dass das amerikanische Wahlsystem mehr direkte und weniger repräsentative Demokratie benötigt. Im Fernsehen ausgestrahlte Zusammenkünfte beispielsweise, bei denen die Wähler direkt mit den gewählten Politikern und Kandidaten sprechen können, wurden als Stärkung der Rechte der Wähler angepriesen. Abstimmungsinitiativen (ballot initiatives), Referenden und Abberufungswahlen werden immer mehr eingesetzt. Die genauen Mechanismen unterscheiden sich von Bundesstaat zu Bundesstaat, aber im Allgemeinen ermöglichen die Initiativen den Wählern die Umgehung der Legislative ihres Bundesstaats durch die Sammlung einer ausreichenden Anzahl von Unterschriften für Petitionen, um Gesetzesvorschläge oder in einigen Staaten Vorschläge für Verfassungsänderungen direkt auf den Stimmzettel zu setzen. Referenden fordern, dass bestimmte Arten von Gesetzen, beispielsweise zur Mittelbeschaffung durch Ausgabe von Wertpapieren, zur öffentlichen Billigung auf den Stimmzettel gesetzt werden. Außerdem können Referenden für die Rücknahme von Gesetzen eingesetzt werden, die bereits von der Legislative des Bundesstaates verabschiedet wurden. Mit einer Abberufungswahl können die Bürger entscheiden, ob ein Amtsinhaber vor dem regulären Ablauf seiner Amtszeit abgewählt wird.

Die mittlerweile von 24 Staaten zugelassenen Initiativen waren besonders im Westen populär – sie wurden 300 Mal in Oregon, mehr als 250 Mal in Kalifornien und fast 200 Mal in Colorado angewandt. Auf den Stimmzetteln der verschiedenen Staaten erschien ein breites Themenspektrum, darunter Regelungen zu Berufen und Unternehmen, Antirauchergesetze, Versicherungsraten für Kraftfahrzeuge, Abtreibungsrechte, legalisiertes Glücksspiel, die medizinische Verwendung von Marihuana, der Einsatz von Atomkraft und Waffenkontrolle.

STAATSBÜRGERLICHE VERANTWORTUNG

Die Bürger der Vereinigten Staaten haben ganz eindeutig viele Rechte, die ihnen von allen Völkern als wertvoll betrachtete Freiheiten einräumen: die Freiheit, zu denken, was sie möchten; diese Meinung auszusprechen – einzeln ihrem gewählten Vertreter gegenüber oder gemeinsam in kleinen oder großen Versammlungen; jede beliebige Religion oder gar keine Religion auszuüben; der Schutz vor unbilligen Durchsuchungen ihrer Person, ihrer Wohnungen oder ihrer privaten Unterlagen. Allerdings gehen gemäß der Theorie der demokratischen Regierung mit diesen Rechten Pflichten einher: die Beachtung der Gesetze; die Entrichtung gesetzlich auferlegter Steuern; der Dienst als Geschworener, wenn man dazu aufgerufen wird; die Informierung über Themen und Kandidaten sowie die Ausübung des Wahlrechts, dass mit so viel Mühe und Tränen erkämpft wurde.

Eine weitere wichtige Pflicht ist der öffentliche Dienst. Millionen amerikanischer Männer und Frauen sind in die Streitkräfte eingetreten, um ihr Land in Zeiten nationaler Krisenfälle zu verteidigen. Weitere Millionen haben in Friedenszeiten gedient, um die militärische Stärke des Landes zu bewahren. Junge und alte Amerikaner sind dem Peace Corps und anderen Freiwilligenorganisationen beigetreten, um im In- und Ausland soziale Dienste zu leisten.

Die Verantwortung, durch deren Übernahme am dauerhaftesten etwas bewirkt werden kann, ist jedoch die Teilnahme am politischen Prozess. "Befürworter der partizipatorischen Demokratie argumentieren, dass eine verstärkte Bürgerbeteiligung an der Entscheidungsfindung in der Gemeinde und am Arbeitsplatz wichtig ist, um die eigene Rolle und Verantwortung als Bürger innerhalb einer größeren Gemeinschaft zu erkennen", erklärt Craig Rimmerman, Professor für Politikwissenschaft, in seinem Buch "The New Citzizenship: Unconventional Politics, Activism, and Service. "Bei Gemeindetreffen erfahren Bürger beispielsweise etwas über die Bedürfnisse anderer Bürger. In einer wirklich partizipatorischen Umgebung handeln die Bürger nicht nur als selbständige Einzelpersonen, die eigene Interessen verfolgen, sondern sie verknüpfen durch einem Prozess der Entscheidungsfindung, der Debatte und des Kompromisses letztendlich ihre eigenen Anliegen mit denen der Gemeinschaft."

Tom Harkin, US-Senator aus Iowa, meint, dass die Art von Aktivisten, die frühere Bürgerrechts-, Anti-Vietnamkrieg, und Umweltbewegungen anheizten, ihre Energie jetzt "näher zu Hause einsetzen, ihre Nachbarn zum Kampf für Anliegen wie bessere Wohnungen, faire Besteuerung, niedrigere Versorgungskosten und die Beseitigung von Giftmüll organisieren... Über Barrieren aufgrund von Ethnie, Schicht oder Geografie hinweg haben diese Maßnahmen Millionen von Menschen gezeigt, dass gemeinsame Interessen die Unterschiede weitaus überwiegen. [Für sie alle] ist die Botschaft der Bürgerinitiativen die gleiche: 'Nicht ärgern, nicht frustriert sein, nicht aufgeben. Organisieren und kämpfen.'"

VIRTUELLE COMMUNITIES

Einige interessierte amerikanische Wähler bleiben durch den Kontakt mit ihren gewählten Vertretern involviert, insbesondere mit dem Präsidenten und ihren Senatoren und Abgeordneten. Sie schreiben Briefe, schicken Telegramme, telefonieren und suchen die jeweilige Person in ihrem Büro auf, sei es in Washington, im Heimatbundesstaat oder im Bezirk. In den letzten Jahren ist allerdings ein neues Kommunikationsmedium aufgetreten, das den Wählern außergewöhnliche Macht verleiht – die Macht zu erfahren, was auf der Welt geschieht, diese Ereignisse zu kommentieren und zu versuchen, die Dinge, die ihnen nicht gefallen, zu ändern. Das Medium ist das Internet, das World Wide Web, die Datenautobahn. Wie man es auch nennen mag, es hat die Politik in den Vereinigten Staaten rapide und unwiderruflich verändert.

Das Internet kann auch ein "mächtiges Instrument für kollektive Maßnahmen sein, wenn wir es so nutzen wollen", sagt der politische Aktivist Ed Schwartz in seinem Buch NetActivism: How Citizens Use the Internet. "Es hat das Potenzial, zum mächtigsten Instrument für politische Organisation seit 50 Jahren zu werden und zu einem, das jeder Bürger anwenden kann. [Was] Gemeindeaktivisten oft am meisten benötigen, sind konkrete Informationen, über Regierungsbehörden und bestimmte Programme sowie darüber, wie das politische System funktioniert. Diese Informationen finden sie ganz einfach und praktisch kostenlos im Internet.

"Virtuelle Communities" von Männern und Frauen mit ähnlichen Interessen, die womöglich tausende von Meilen voneinander entfernt wohnen und anders nie voneinander gehört hätten, kommen jetzt im Internet zusammen. Oft treffen sich diese Menschen nie persönlich, aber sie lernen sich über regelmäßigen intelligenten Austausch über die ihnen am meisten am Herzen liegenden Themen im Laufe der Zeit sehr gut kennen.

Eine weitere tief greifende Veränderung ist der schnelle Zugang zu Informationen über Regierung, Politik und Themen über das Internet, die vorher nicht verfügbar waren, oder zumindest für die meisten nur schwer auffindbar.

EnviroLink beispielsweise ist eine Website zu Umweltfragen. Gemeindeorganisationen erfahren auf dieser Seite konkrete Fakten über Themen wie Treibhausgasemissionen, Sondermüll oder giftige Chemikalien. In der Vergangenheit mussten sich diese Gruppen womöglich darauf beschränken, allgemein über diese Probleme zu sprechen. Über EnviroLink ist nun detailliertes Recherchematerial unmittelbar verfügbar. Die Website bietet Zugang zu bildungspolitischen Ressourcen, Regierungsbehörden, Umweltorganisationen und Veröffentlichungen, alles nach Themen sortiert. EnviroLink bietet auch Informationen und Ratschläge zur Ergreifung direkter Maßnahmen, indem Namen und E-Mail-Adressen von Kontaktpersonen zu konkreten Umweltbelangen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem gibt es "Chatrooms", in denen Diskussionen geführt und Gedanken ausgetauscht werden können.

Aktivisten auf lokaler Ebene empfinden das Internet als besonders hilfreich. Diese Personen engagieren sich politisch für die Verbesserung der Bedingungen in ihren eigenen Nachbarschaften und Gemeinden. Sie organisieren die Verschönerung ihrer Nachbarschaft, Mülltrennung, Gruppen zur Sicherung der Nachbarschaft und Programme zur Vermittlung von Lese- u. Schreibkenntnissen für Erwachsene. "Ziel ist es nicht nur, einen Dienst an der Gemeinschaft zu leisten", sagt Ed Schwartz, "obwohl das ein Faktor ist. Sie sind ganz einfach der Meinung, dass gesunde Gemeinschaften nur möglich sind, wenn die Anwohner durch persönliches Engagement zu ihrem Wohlergehen beitragen."

Ein Beispiel dafür, wie diese Personen das Internet nutzen, ist Neighborhoods Online, eine von Schwartz gestaltete Website zur Förderung von Nachbarschaftshilfe in den Vereinigten Staaten. Hunderte von Menschen besuchen diese Website jeden Tag, darunter Organisatoren, Mitarbeiter gemeinnütziger Organisationen, gewählte Vertreter, Journalisten, Lehrkräfte und Studenten von Colleges sowie ganz normale Bürger, die nach neuen Lösungsansätzen für Probleme in ihrer Nachbarschaft suchen.

"Wir haben bescheiden angefangen", so Schwartz, "und nun einen Punkt erreicht, an dem fast jedes Gemeindeentwicklungsunternehmen, jedes Nachbarschaftsberatungskomitee, jedes Alphabetisierungsprogramm für Erwachsene, jede Ausbildungsagentur und jeder Dienstleister bereits online ist oder versucht herauszufinden, wie er dahin kommt."

PRIVATE INTERESSENGRUPPEN

Die oben erwähnten und andere, ähnliche Gruppen werden öffentliche Interessengruppen genannt, da sie sich für ein Allgemeinwohl einsetzen, das nicht notwendigerweise ihren eigenen Mitgliedern zugute kommt. Das bedeutet nicht, dass die von derartigen Gruppen vertretenen Standpunkte immer richtig sind, sondern, dass der Anteil an profitablem oder selektivem Eigeninteresse niedrig ist.

Private Interessengruppen andererseits haben normalerweise ein wirtschaftliches Interesse an den von ihnen vertretenen Grundsätzen. Unternehmensorganisationen begrüßen niedrige Unternehmenssteuern und Beschränkungen des Streikrechts, während Gewerkschaften Gesetze zum Mindestlohn und zum Schutz der Tarifverhandlungen befürworten. Im Mittelpunkt des Interesses anderer privater Interessengruppen – wie Kirchen und ethnische Gruppen – stehen allgemeinere grundsätzliche Themen, die ihre Organisationen oder Überzeugungen betreffen.

Eine Art privater Interessengruppe, die in den letzten Jahren an Mitgliedern und Einfluss gewann, ist das politische Aktionskomitee (political action committee – PAC). Hierbei handelt es sich um unabhängige Gruppen, die sich auf ein einziges Anliegen oder eine Reihe von Anliegen gründen und Geld für Wahlkampagnen für den Kongress oder die Präsidentschaft spenden. Die PACs dürfen den Kandidaten in Bundeswahlen nur einen begrenzten Betrag spenden. Allerdings gibt es keine Beschränkung des Betrags, den PACs für die unabhängige Vertretung eines Standpunktes oder für die Unterstützung der Wahl eines Kandidaten in ein Amt ausgeben dürfen. Heute gibt es tausende von PACs.

"Die politischen Parteien fühlen sich durch die exponentiell ansteigende Zahl von Interessengruppen bedroht. Immer zahlreicher betreiben sie ihre Büros von Washington aus und stellen sich beim Kongress und den Bundesministerien direkt vor", erläutert Michael Schudson in seinem Buch The Good Citizen: A History of American Civic Life. Viele Organisationen, die ein Auge auf Washington haben, erwarten von den Bürgern moralische und finanzielle Unterstützung. Da sich viele von ihnen auf wenige oder womöglich nur ein Thema konzentrieren, oft auf ein einziges Anliegen mit enormen emotionalen Gewicht, stehen sie mit den Parteien in einem Wettbewerb um Geld, Zeit und Leidenschaften der Bürger."

Mit den immer teurer werdenden Wahlkämpfen nehmen die für diese "Sonderinteressen" ausgegebenen Beträge immer mehr zu. Viele Amerikaner haben das Gefühl, dass diese vermögenden Interessenvertreter – seien es Unternehmen, Gewerkschaften oder zur Unterstützung von bestimmten Standpunkten organisierte PACs – so mächtig werden, dass normale Bürger diesem Einfluss nichts entgegensetzen können.

Aber sie können etwas tun. Sie können sich informieren und dann anhand dieser Informationen handeln. Die Nutzung des Internets ist vielleicht die schnellste und effizienteste Methode, um den gewählten Vertreter im Auge zu behalten. Innerhalb von Minuten kann man so herausfinden, welche "Sonderinteressen" politische Spenden an einen Vertreter geleistet haben und wie der Vertreter bei Gesetzen in letzter Zeit gestimmt hat. Die Bürger können dann diese Informationen nutzen und ihre eigene Meinung kundtun.

Eine Tatsache des politischen Lebens ist, dass Nachdenken über Themen, das Zusammentragen von Informationen hierüber, und die Diskussion mit Freunden und Nachbarn die Handlungsweise – oder, wichtiger noch, das Abstimmungsverhalten - von gewählten Vertretern nicht beeinflussen. Diesen Vertretern ist allerdings sehr daran gelegen, dass diejenigen, die sie gewählt haben, sie wieder wählen. Wenn Briefe, Telefonanrufe, Faxnachrichten und E-Mails von Wählern eintreffen, findet das sehr wohl Beachtung. Es sind immer noch die Bürger, jeder mit seiner Stimme, wann immer er sie abzugeben wünscht, die die ultimative Macht haben.

Der Weg von 1787 über den Entwurf einer amerikanischen Verfassung bis in die Gegenwart war nie ein gerader. Die Wähler wurden von Leidenschaften und Ereignissen zunächst in die eine, dann in die andere Richtung gerissen. Aber irgendwann fanden sie immer den Weg zurück in die Mitte. Irgendwo zwischen dem Pragmatischen und dem Idealen, zwischen dem Lokalen und dem Nationalen, zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, zwischen Egoismus und Altruismus, zwischen den Rechten der Bundesstaaten und dem Wohlergehen der Nation als Ganzes gibt es Gemeinsamkeiten, auf denen die Amerikaner im Laufe der Jahre ein starkes, prosperierendes, freies Land aufgebaut haben – ein Land mit Fehlern, sicherlich, das aber immer von der Aussicht auf bessere Zeiten in der Zukunft angetrieben wird.

DIE MEDIEN

Die Amerikaner erkannten früh die grundlegende Bedeutung eines unkomplizierten Zugangs zu Informationen für das ordnungsgemäße Funktionieren ihrer neuen Demokratie. Ohne diesen Zugang könnten sie keine sachkundigen Entscheidungen über Kandidaten und Politik treffen. Wenn sie effektiv sein sollen, müssen diese Informationen zudem leicht verfügbar und weit verbreitet sein.

Die Antwort auf diesen Bedarf waren Zeitungen. Die erste Tageszeitung der Vereinigten Staaten erschien 1783 in Philadelphia (Pennsylvania). Bis 1800 hatte Philadelphia sechs Tageszeitungen, New York hatte fünf, Baltimore (Maryland) drei und Charleston (South Carolina) zwei. Fast 250 weitere Zeitungen – hauptsächlich Wochenzeitungen – erscheinen in allen Teilen des Landes. Bis 1850 gab es 2.000 Zeitungen, darunter 200 Tageszeitungen.

Die Halsstarrigkeit unabhängiger Journalisten führte von Anfang an zu Konflikten mit vielen amerikanischen Politikern. George Washington schrieb 1792: "... wenn die Regierung und ihre Beamten ständig von den Zeitungen beschimpft werden, ohne dass diese sich herablassen, Beweggründe oder Fakten zu ermitteln, wird es meines Erachtens keinem lebenden Menschen möglich sein, das Staatsruder in der Hand oder den ganzen Apparat zusammenzuhalten." Andererseits erkannten die Politiker die entscheidende Rolle der Medien bei der Informierung der Bürger. Thomas Jefferson schrieb 1787: "...wäre es mir überlassen zu entscheiden, ob es eine Regierung ohne Zeitungen oder Zeitungen ohne Regierung geben soll, würde ich nicht zögern, Letzteres vorzuziehen."

Das Radio gewann 1924 an politischer Bedeutung, als die nationalen Parteitage zum ersten Mal live übertragen wurden. In diesem Jahr begannen die Parteien, für Radiowerbung zu bezahlen – die Republikaner gaben 120.000 Dollar aus, die Demokraten 40.000 Dollar. Vier Jahre später waren die Ausgaben der beiden Parteien auf eine Million Dollar gestiegen, womit die Aufwärtsspirale der Wahlkampfausgaben begann, die sich in den letzten Jahren noch beschleunigt hat.

George Gallup begann 1934, Meinungsumfragen in einer kleinen Auswahl von Schlüsselbezirken durchzuführen. Er war der Ansicht, dass diese Umfragen "eine schnelle und effiziente Methode seien, um Gesetzgebern, Pädagogen, Experten und Redakteuren wie auch normalen Bürgern im ganzen Land eine zuverlässigeres Maß des Pulses der Demokratie zu geben." Heute sind Meinungsumfragen sehr viel ausgefeilter, da die Fragestellungen unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte differenzierter wurden und die Analyse durch die Einführung moderner Technologie unterstützt wird. Trotz gelegentlicher Fehler werden Meinungsumfragen generell als effektive Methode zur Ermittlung der öffentlichen Meinung gesehen.

Die erste Fernsehübertragung eines Parteitags fand 1940 mit 100.000 Zuschauern statt. In den Fünfzigerjahren erreichte das Fernsehen dann schon ein Drittel aller amerikanischen Haushalte. Die beiden Parteien gaben während des Wahlkampfes 1952 3,5 Millionen Dollar für Fernsehwerbung aus, wobei die Republikaner die Demokraten in ihren Ausgaben immer noch weit übertrafen. Die Debatten zwischen Kennedy und Nixon 1960 entschieden die ausschlaggebende Rolle des Fernsehens für moderne Wahlkämpfe.

"Fernsehen ist für die meisten Amerikaner zur wichtigsten Informationsquelle geworden", erläutert der britische Historiker Philip John Davies in Elections USA. "Kandidaten für wichtige Ämter, die eine maßgebliche Wirkung erzielen wollen, können es sich nicht erlauben, die Berichterstattung im Fernsehen zu ignorieren oder sich die Chance der Werbung in diesem Medium entgehen lassen... Zudem erwartet die Öffentlichkeit heute zumindest von den Kandidaten für wichtige Ämter einen Fernsehauftritt; ein Kandidat für ein Amt im Kongress, im Bundesstaat oder sogar für ein wichtiges kommunales Amt kann immer noch sehr effektiv im Rundfunk und in den Printmedien werben, aber ohne Fernsehwerbung erscheint der Wahlkampf kaum glaubhaft."

Originaltext: The Media; Government of the People: The Role of the Citizen; Outline of U.S. Government

POLITISCHE PARTEIEN

Einem Großteil der amerikanischen Gründerväter widerstrebte die Idee politischer Parteien, widerstreitender "Faktionen", die ihres Erachtens sicher mehr daran interessiert wären, miteinander zu wetteifern als für das Allgemeinwohl zu arbeiten. Sie wollten, dass die Bürger ohne die Einmischung organisierter Gruppen einzelne Kandidaten wählen – aber so sollte es nicht kommen.

In den Neunzigerjahren des 17. Jahrhunderts hatten sich bereits unterschiedliche Ansichten zum richtigen Kurs des neuen Landes herausgebildet, und die Vertreter unterschiedlicher Standpunkte versuchten Unterstützung für ihre Sache zu gewinnen, indem sie sich zusammentaten. Die Anhänger Alexander Hamiltons nannten sich Federalists, sie befürworteten eine starke Bundesregierung, die die Interessen des Handels und der Wirtschaft unterstützen würde. Die Anhänger Thomas Jeffersons nannten sich Demokratische Republikaner; sie zogen einen dezentralisierten Agrarstaat mit begrenzten Befugnissen der Bundesregierung vor. Bis 1828 waren die Federalists als Organisation verschwunden, sie wurden durch die Whigs ersetzt, die beim Wahlkampf aus dem Widerstand gegen die Wahl von Präsident Jackson in diesem Jahr entstanden. Die Demokratischen Republikaner wurden zu Demokraten, und das heute noch bestehende Zweiparteiensystem war geboren.

In den Fünfzigerjahren des 18. Jahrhunderts stand die Sklaverei im Mittelpunkt, wobei insbesondere die Frage streitig war, ob Sklaverei in den neuen Staatsgebieten im Westen des Landes erlaubt werden sollte. Die Whig-Partei legte sich bei diesem Thema nicht fest, und das war ihr Todesurteil; sie wurde 1854 durch die Republikanische Partei ersetzt, deren Hauptziel die Abschaffung der Sklaverei im gesamten Staatsgebiet war. Schon sechs Jahre später gewann diese Partei mit Abraham Lincoln 1860 die Präsidentschaftswahl. Bis dahin hatten sich die Parteien als vorherrschende politische Organisationen des Landes etabliert, und die Parteizugehörigkeit war im Bewusstsein der meisten Menschen ein wichtiger Faktor geworden. Die Parteigefolgschaft wurde vom Vater auf den Sohn übertragen und Aktivitäten der Parteien – darunter spektakuläre Wahlkampfveranstaltungen mit Märschen und Fackelparaden - wurden zu einem Teil des gesellschaftlichen Lebens vieler Gemeinden.

Bis in die Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts hatten diese ausgelassenen folkloristischen Veranstaltungen allerdings nachgelassen. Kommunale Reformen, Reformen des öffentlichen Dienstes, Gesetze gegen Korruption und die Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl zur Verringerung der Macht der Politiker bei den nationalen Parteitagen hatten zu einem saubereren politischen System beigetragen – der Politik aber auch ein wenig den Spaß genommen.

Warum gibt es in diesem Land heute nur zwei politische Parteien? Die meisten Amtsinhaber werden in den Vereinigten Staaten nach reinem Mehrheitswahlrecht (single-member district system) gewählt, indem sie ihre Gegner in dem so genannten "first-past-the-post"-System aus dem Feld schlagen, ohne dass die Stimmen nach dem Verhältniswahlrecht Niederschlag finden. Dies führt zur Schaffung eines Duopols: Eine Partei ist an der Macht, die andere nicht. Wenn diejenigen, die nicht an der Macht sind sich zusammentun, haben sie eine bessere Chance gegen die Machthaber. Gelegentlich erhalten dritte Parteien einen gewissen Anteil der Stimmen, zumindest eine Zeit lang. Die erfolgreichste dritte Partei war in den letzten Jahren die Reformpartei von H. Ross Perot, die in den Präsidentschaftswahlen 1992 und 1996 mäßigen Erfolg hatte. Jesse Ventura war der erste Kandidat der Reformpartei, der 1998 mit seiner Wahl zum Gouverneur von Minnesota Wahlen in einem Bundesstaat gewann. Dritte Parteien haben es allerdings schwer, da eine oder beide der großen Parteien oft ihre populärsten Themen aufgreifen und damit auch ihre Wähler übernehmen.

"In den Vereinigten Staaten decken die beiden politischen Etiketten – Demokrat oder Republikaner – fast alle Inhaber öffentlicher Ämter ab, und deshalb werden die meisten Wähler überall im Namen der beiden Parteien mobilisiert", erläutert Nelson W. Polsby, Professor für Politikwissenschaft in dem Buch New Federalist Papers: Essays in Defense of the Constitution. "Demokraten und Republikaner sind jedoch nicht überall gleich. Teils subtile, teils offensichtliche Unterschiede in den 50 verschiedenen politischen Kulturen der Bundesstaaten haben erhebliche allgemeine Unterschiede in der Bedeutung dessen zur Folge, was es heißt, Demokrat oder Republikaner zu sein oder die jeweilige Partei zu wählen. Diese Unterschiede legen nahe, dass man Recht haben mag, wenn man das amerikanische Zweiparteiensystem eine Maske für ein System mit etwa 100 Parteien nennt."

Aus dem Buch "Das amerikanische Regierungssystem", das vom Büro für internationale Informationsprogramme des US-Außenministeriums als Teil der Outline-Reihe herausgegeben wurde.
 

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